JERRY COTTON

Das Wunder von Köln

Deutschlands größter Groschenheld kriegt seine Festschrift

Das Land lag in tiefer Depression, nur die gröbsten Kriegs-Trümmer waren weggeräumt ... und hier fängt nicht noch eine Filmbesprechung zur Schuß-Tor-Seelsorge der Saison an, sondern die geheime Gegengeschichte zur Selbstbewußtseins-Legende.

Im März 1954, die Fußball-Weltmeisterschaft hatte noch nicht mal angefangen, erschien der erste Jerry-Cotton-Kriminalroman. Im damals in Köln sitzenden Bastei Verlag. Bis heute hat der FBI-Agent knapp 3000 Fälle überlebt, bis heute weiß kaum jemand, wer ihn eigentlich damals erfunden hat, und als Vorbereitung auf das 50jährige Dienstjubiläum erzählt Friedrich Jakuba, Cotton-Mit-Autor seit ein paar hundert Heften, das auch nicht. Aber sonst vieles aus der Geschichte des G-Man, seines Verlages, den Veränderungen des Genres und der Bundesrepublik drumrum. G-man Jerry Cotton. Nichts als Wahrheit und Legenden ist in erster Linie ein Handbuch für die vielen fast unbekannten Fans. 850 Millionen Titel wurden weltweit verkauft, es gibt Übersetzungen in 14 Sprachen, seit neuestem auch ins Chinesische, ins Englische nie, und es gibt kaum organisierte Clubs zur verschwiegenen Lieblingslektüre.

Das paßt zum Original-Autor, der sich bis heute tarnt. Das paßt zur Verlagspolitik, die die Romane bald von einer ganzen Autoren-Fabrik als "Ich"-Erlebnisse des Helden produzieren ließ. Und das erzeugt einen seltsamen Stolz bei Jakuba und Kollegen, weitgehend anonym an einem Giga-Phänomen mitgewirkt zu haben. Nie suchten sie die Weihen des öffentlichen Feuilletons. Lieber erzählen sie Legenden vom Mut und Durchsetzungswillen kleiner Leute, die ihr Glück suchen, einen guten Job machen und Lob nicht brauchen.

Etwa wie der junge Cotton vom Dorf in die große Stadt New York zieht (im Original, noch sehr deutsch, vom Vater ermutigt, in den Nachauflagen dann, märchenmotivisch erfahrener, vom Dorfschmied). Oder wie Jungverleger Gustav Lübbe mit einem Schrott-Käfer, der nur noch nach rechts lenken konnte, seine Buchhändler-Route durch Köln plant, um die ersten Hefte auszuliefern.

Dass das bloß erfunden ist, gibt Jakuba gern zu. Aber es sei eben gut erfunden. Und es hat wohl die Seelenlage der Deutschen besser getroffen als irgend so ein Bolzer in Bern. Am Anfang war Cotton wie ein modernisierter Karl May, der im gelobten Land mit romantischen Tugenden den amerikanischen Traum rettet. Mit neuen Autoren kam ein preussischer Zug dazu, penibel wurden die Handlungsorte in Reiseführern recherchiert, und die Leser waren besonders begeistert, wenn nicht einfach die Bösen verloren, sondern auch die Adresse des Show-Down-Hauses genau stimmte. Und die Fahrzeit mit dem berühmten Jaguar dahin.

Gustav Lübbe wurde Millionär und kriegte 169 das Bundesverdienstkreuz als Verleger, sein verarmter Haupt-Autor Heinz Werner Höber verklagt ihn auf 11 Millionen entgangener Tantiemen, kriegt aber nichts und muß unter Pseudonym weiter Cotton kloppen. Erst in den 90ern bedankt sich die deutsche Krimi-Autoren-Organisation bei ihm mit einem Lebenswerk-Preis. Jakuba erwähnt das, ohne seinen Verleger übermässig zu verteidigen.

Dafür sagt er fast nichts über George Nader, der von 1965-69 acht mal in Deutschland den Kino-Cotton machte. Unter anderem, weil er amerikanischen Gerüchten um seine Beziehung zu Rock Hudson entfliehen wollte. Solche Pikanterien mag Jakuba nicht.

Viel mehr sagt Jakuba, ehrenrettend, über die Funktion von Trivialliteratur, über das völlig fiktive Traumreich FBI in hyperrealistischer Umgebung ... und über die langen Kämpfe mit dem Jugendschutz der spiessigen Republik. Das Kapitel über den weisen Gutachter Kurt Göbel gehört in jedes Literaturstudium.

Und Jerry Cotton, ursprünglich als bodenständige Halb-Parodie (Jeremias Baumwolle, was für ein uncooler Name) auf die hartgekochten Detektive vom Spillane-Typ ausgedacht, sollte sofort eine Vitrine kriegen im Haus der Geschichte der Bundesrepublik.

Bis zum echten Jubiläumstermin im März 2004 werden wohl noch viele Feuilleton-Beiträge zum Wunder von Köln erscheinen, und dann vielleicht nicht nur Dönekes aufbereiten (wie die Tunnel-Gangster 1987 in Berlin ihren Caper-Plan aus einem Cotton-Heft stahlen) sondern auch Inhalte.

Den Wandel des Frauenbildes etwa (in den 70ern wird die erste Agentin aktiv), die Rolle der Gewalt (unter Adenauer galt Jerry als Schläger, heute erscheint er fast als letzter Edel-Cop), oder politische Untertöne. Immerhin fing Friedrich Jakuba in den 90ern seine Karriere als Cotton-Autor mit einer Story über die amerikanische Rechtsradikalen-Szene an.

Ach ja: "G-Man" bedeutet im erfundenen Gangster-Slang "Government-Man"; und Fritz Jakuba tritt als Rechercheur persönlich in einem fiktiv-biographischen Jerry-Cotton-Roman ("Heisses Blei") auf, der in seine Jubiläums-Hymne integriert ist. In dem wird ein Manuskript gejagt (natürlich mit dem Titel "Heisses Blei"). Der soll wohl das ernsthafte Feuilleton locken und Jakubas Hilfs-These begründen: Cotton-Romane waren schon immer bemerkenswerte Kinder ihrer Zeit, sind aber inzwischen auch tiefer geworden, einfache Antworten sind seltener, aber der grundlegende Optimismus des Weitermachens blieb. Prost auf die nächsten 50 Jahre. Der klassische Jerry trinkt übrigens Alkohol erst, wenn die Straßenlaternen angehen.

WING
Friedrich Jakuba: G-man Jerry Cotton. Nichts als Wahrheit und Legenden. Lübbe, Bergisch Gladbach 2003, 318 S., 17,90