PALÄO-THRILLER

Affenschande

Der Yeti lebt - und Philip Kerr hat ihn gesehen

Philip Kerr will der nächste Michael Crichton werden. Auch wenn der penibel recherchierende Engländer den Amerikaner in den langen Danksagungen seiner Romane nie erwähnt. Dabei hätte es bei Esau besonders gut gepaßt. Nach zwei Computer-Plots (Das Wittgenstein-Programm, Game Over - letzteres als HörBuch bei uns gelobt), nach drei Nazi-Krimis (Feuer in Berlin, Alte Freunde, Im Sog der dunklen Mächte - allesamt bei uns, mit Einschränkungen, gelobt) und verstreuten anderen (Gesetze der Gier, Der Plan - alles bei Rowohlt) widmet sich Kerr jetzt dem uralten "Lost World"-Sub-Genre.
Wie bei Crichtons frühem Die ihre Toten essen oder John Darntons 96er Das Tal des Lebens (konnte Kerr nicht kennen, erschien zeitgleich mit seinem Original, fanden wir mittelmäßig, wurde von Spielberg zum Verfilmen gekauft) und vielen vielen anderen Romanen (es begann mit Arthur Conan Doyle und hörte bei sowjetischen Revolutions-Utopikern nicht auf) haben bei Kerr scheinbar wieder evolutionsgeschichtliche Vorläufer des Homo Sapiens in abgeschiedenen Regionen überlebt. Im Himalaya, da wo das Shangri-La der Mythopoeten liegt - und wo tatsächlich die nepalesische Regierung das Besteigen eines bestimmten Berges streng verboten hat.
Philip Kerr ist allerdings auf der Höhe der Zeit (nukleares Kriegsgerassel zwischen Indien und Pakistan) - und auf dem neuesten Stand der Forschung, der beweisen kann, daß unsereins genetisch enger mit Schimpansen und Gorillas verwandt ist als etwa eine Gibbon-Art mit der anderen. Weshalb es durchaus plausibel ist, daß ein Fast-Mensch sich noch zu historischer Zeit von "unserer" Entwicklungslinie abgespalten hat. Der Yeti nämlich.
Eine Expedition sucht den sagenhaften Schneemenschen, findet ihn, gerät in Geheimdienst-Querelen (ein Spionage-Satellit ist am Annapurna abgestürzt), stolpert über buddhistische Mystiker (auch der Dreh ist bei Crichton vorkonfiguriert), und beschließt am Ende, aus Artenschutz den Zugang zu unseren Brüdern zu verschütten.
Esau (biblische Geschichte muß man schon können) ist spannend; man lernt was (wenn auch mehr über Bergsteigen als über DNA-Analyse); man ärgert sich nur wenig über das Frauenbild (tough, aber mit tollen Beinen); man wundert sich über technische Dummheiten (Agenten-Dossiers via eMail, ts ts) ... und man wärmt sich an der Parabel der Mitgeschöpflichkeit. Und daß Reinhold Messner und die Legionen vom Bigfoot-Mystifikationen nicht vorkommen, ist wirklich kein Fehler.
WING
Philip Kerr: Esau Deutsch von Peter Weber-Schäfer. Rowohlt, Reinbek 1999 (TB Nr. 22480), 509 S., 16.90 DM