COMPUTER

Haufen mit Richtung

Peter Krieg erfindet in »Die paranoide Maschine« die Künstliche Intelligenz neu

Eigentlich ist Die paranoide Maschine gar kein Buch, sondern ein getarnter Firmenprospekt der Informatik-Bude "Pile Systems Inc.". Peter Krieg lässt da, mit seinen Tantiemen als Dokumentarfilmer ("Septemberweizen", "Maschinenträume"), einen israelischen Genie-Studenten an einem revolutionären Ansatz zur "Datenverarbeitung ohne Daten" arbeiten.
Das "Pile"-System will eine Bibliothek werden, in der keine Bücher stehen, sondern bloß Wörter und Lese-Regeln für sinnvolle Sätze; ganz so wie eine Schreibmaschine nur über Buchstaben verfügt, aber ganze Bücher produzieren kann. Das spart viel Platz, aber die Idee ist in so abgehobenem Informatisch verfasst, dass Laien gar nichts kapieren und Normal-ITler schieren Unfug vermuten (auf den Diskussionsseiten bei www.heise.de/telepolis/).
Deshalb schrieb Peter Krieg mehrere Kapitel um den Pile-Kern herum. Eines stellt vergessene Denker aus der Computergeschichte vor, die Ende der 60er am MIT die Zukunft erfanden. Darunter war auch der deutsche Hegel-Philosoph Gotthard Günther, der in seiner Freizeit SF-Literatur herausgab und etwa Asimovs I, Robot nach Deutschland holte.
Die Philosophie, sagt Krieg, hat seit Aristoteles die simple zweiwertige Logik in ungesunder Weise bevorzugt, was zu einer Verwechslung von Denken mit Rechnen führte - und ab den 70ern zu dem Irrtum, Computer müssten nur gross und schnell genug sein, um intelligent werden zu können.
Daraus ergibt sich auch der Grundirrtum der Informationstheorie, die das Verstehen der Welt mit dem Abhören eines Telefongesprächs modelliert. Daraus werden dann zwar technisch fehlerkorrigierende Audio-Codecs, aber auch philosphische Monster: wer sitzt denn da eigentlich in meinem Kopf und sortiert die Inputs?
Das ist alles richtig und bekannt, wenn auch oft schwergängig formuliert. Außerdem ist es erstaunlich, welche wichtigen Namen (z.B. Stanislaw Lem) und jahrzehntelangen Diskussionen (z.B. Chinese Room) Krieg übergeht. Aber es ist durchaus verdienstvoll, etwa Raimundus Lullus aus dem Mittelalter, Charles Peirce aus dem 19. und Humberto Maturana aus dem 20. Jahrhundert mal in diesem Zusammenhang zu sehen zu bekommen.
Leider erwähnt Peter Krieg nicht, dass Peirce damals den Stromkreis als logischen Schalter vorschlug, was, hätte man auf ihn gehört, den Computer glatt 50 Jahre früher möglich gemacht hätte.
Zurück zum Pile-Kern: die Datenverarbeitung ohne Daten könnte sehr wohl das Problem lösen, wie denn die unendliche Welt in einen kleinen Kopf passt - wenn auch nicht, wie sie von einem in den anderen kommt. Oder immerhin, wie wir mit der rasend anwachsenden Datenflut und der ständig komplexer werdenden Software eigentlich weiter rechnen sollen, wenn jede Festplatte bald schon mehr Daten tragen muss, als das Universum Atome enthält.
Die Diskussion ist eröffnet - und sie ereignet sich an seltsamen Plätzen. Etwa unter www.loveparade.net (über Gotthard Günther), www.bcngroup.org (biologisches Computern) und www.vordenker.de (alles ducheinander).
WING
Peter Krieg: Die paranoide Maschine. Computer zwischen Wahn und Sinn. Heise, Hannover 2005, 205 S., 16,- ISBN: 3936931186