SAGENWELT

Im Goldrausch

Wo Hagen sprang und Siegfried fiel - fast alles über den Schatz der Nibelungen

Es war einmal, in alter Zeit, da schmiss ein deutscher Reichsverweser den ganzen Staatsschatz in den Rhein, um ihn vor unbefugtem Zugriff zu schützen. Später ließ er sich dann von seiner Königin, die inzwischen die Koalition gewechselt hatte, lieber köpfen, als den Ort des Horts zu verraten.

Ein urdeutsches Schicksal? Ein Mythos für die Gegenwart? Ein Pop-Motiv europäischer Unterhalter von Skandinavien bis zur Donau und über Jahrhunderte hinweg? Jörg Oberste, Geschichtsprofessor in Regensburg hat gerade ein schönes Buch mit vielen Bildern darüber geschrieben, wie die Nibelungen-Sage in die Welt kam und was vor allem die Deutschen aus ihr machten.

Oder die Engländer. Tolkiens "Herr der Ringe" etwa enthält viel Nibelungen-Stoff und ist heute weithin bekannter als Wagners "Rheingold"-Adaption. Auch der Grundstoff der Story war in England, Skandinavien und im lateinischen Schrifttum längst verbreitet, bevor um 1200 in Süddeutschland das deutsche Nibelungenlied entstand. Dann aber wurden die tragischen Händel um Siegfried, den etwas tumben Helden, Hagen, den finstren Intriganten, und Kriemhild, die Schnepfe, die zur Furie wurde, ein Dauerbrenner.

Jörg Oberste erzählt anschaulich, wie sich aus vielen Traditionen ein Stoff formte, der im höfischen Mittelalter das dunkle Gegenstück zu den eher hellen Rittersagen um König Arthus wurde. Er erwähnt auch kuriose neuere Deutungen: War Siegfrieds Vorbild vielleicht Arminius, der den römischen Drachen erschlug? War der Hunnenkönig Etzel der Sage wirklich der reale Attila? Oder doch eher ein Hesse? Oder wohnte er ihn Soest?

Nur einer Spur geht Oberste nicht nach: dem wahren Rheingold. Lange Zeit wurde am Rhein ernsthaft Gold gewaschen. Erst im 19. Jahrhundert gingen die Erträge wegen der Flussbegradigungen dramatisch zurück. Und genau dann brach ein neues Nibelungen-Fieber aus, dass bis Stalingrad anhielt, wo sich deutsche Helden dann in Hunnenland abschlachten ließen, weil die Treue es ihnen befahl.

Oberste liefert dankenswerterweise keine Nationalpsychologie des Nibelungentums der Deutschen, sondern zeigt, wie sich verschiedene Zeitgeist-Motive (Germanen sind Barbaren, Cleverness ist böse, Helden müssen sterben) mit wechselnder Geopolitik (schlagt die Unterdrücker, misstraut der Regierung, erobert die Nachbarn) zu einem komplizierten literarischen Knoten schürzten.

Der Schatz der Nibelungen ist noch immer nicht gehoben. Noch heute streunen Hobby-Historiker von Xanten bis zum Odenwald herum, um Gollums Ring zu finden, der alle ins Verderben stürzt, die sich den Ring der Nibelungen an den Finger stecken. In Bayreuth wird Wagner immer wieder neu und anders aufgeführt, in Bonn rockt gerade ein "Der Ring"-Musical den Mythos und im nächsten Jahr, 1000 Jahre nach Arminus' Sieg über Varus im Teutoburger Wald, werden Detmold und Osnabrück behaupten, die einzig wahre Nibelungenstadt zu sein.

Wing
Jörg Oberste: Der Schatz der Nibelungen. Mythos und Geschichte. Begleitbuch zur ARD-Fernsehserie Lübbe, Bergisch Gladbach 2008, 304 S., 19,95