DICHTER

Schüttere Verse

Robert Gernhardt wird 60 - und ganz und gar berühmt

Vor 10 Jahren wurde Deutschlands bester Reimmetz bisher 50 - und erregte erstes Aufsehen in höheren Kreisen. Weil er seinen Körper in Cafés setzte - und den gleichnamigen Gedichtband dem Verdacht aus, gar nicht nur komisch zu sein. Schwer tat sich das Feuilleton damit. Hatte doch anfangs der studierte Aquarellist und Mit-Gründer der Neuen Frankfurter Schule (mit knapp 25) eher Klosprüche an die Wände gängiger Versbauformen genagelt ("Der Bär schaut seinen Ziesemann / nie ohne stille Demut an; / der Mops hat seinen Zeugungstrieb / ganz furchtbar gern und schrecklich lieb).
Zum Brüllen. Und manches Werklein aus der Phase wurde Volksmundgut. Strenge Literaturwissenschaftler aber lasen Gernhardt damals nur auf der Brille.
Dann griff der Ex-Adorno-Impersonator und Titanic-Erfinder auch mal mit evangelischem Ernst elaborierteren Jargons, und seinem zunehmend profitableren Metier (seit 30 Jahren Freiberufler) dazu, metamäßig in den Schritt ("Gedicht kann beides sein: / Klage und Feier. / Dies geht mir auf den Sack, / das auf die Eier"). Schluck.
Nur einige Jahre später hätte er das "mir" wohl nicht nur wegen der Rhythmusverbesserung gestrichen. Jetzt werden die Formen strenger, die komischen Regelverstöße eleganter, und kaum, daß Robert fliegend Studenten-Talk und Hoch-Ästhetik verbruchbandelt ("Sonette find ich sowas von beschissen, / so eng, rigide, irgendwie nicht gut; / es macht mich ehrlich richtig krank zu wissen, / daß wer Sonette schreibt. Daß wer den Mut ...") hat, versteigt er sich zu heftig ernsten Themen. Die Körper in Cafés (gerade wiederaufgelegt als Fischer Taschenbuch) machten mit Kapiteln wie "Heimat", "Leere", "Ich", und "Schicksal" sichtlich (und absichtlich evtl. anders gemeinte) Sinn-Anstalten.
Und in der Rückschau erkennen heute richtige Literaturprofessoren, daß damals der Kontrast-Komiker sich wandelte in einen Humoristen der Schattierungen und Übergänge. Und der kompliziert versteckten Zitate aus der Echt-Kunst. Wer damals schon sowohl sein jargon-kritisches und zeitgeist-mordendes Theaterstück Die Toscana-Therapie kannte (neulich neu auf CD/MC im HörVerlag herausgekommen), als auch die stillen, banalen, verträumten Gemälde leerer Eimer auf italienischen Terassen (als Paperback noch lieferbar im Haffmans-Verlag), der wunderte sich nicht. Wer aber nicht, muß nun alles Nachlesen im Robert Gernhardt-Band der renommierten Text+Kritik-Reihe (edition text+kritik).
Darin erklären Texter, Kritiker, Professoren, Kabarettisten, Kollegen und Kinderbuch-Kenner das weitläufige Robert-Werk. Zuweilen unfreiwillig lachhaft ("sprachlich verfügt Gernhardt über keine unverwechselbare Handschrift", ein Journalist), zuweilen planmäßig - hrrm - kongenial ("Daß doch die Herren Ästhetiker, wann immer sie von Gernhardt reden, kommod und witzig sein wollen! und nur höchst ungern hardt und nüchtern!", ein Germanist). Muß man haben. Auch wenn mal wieder Herr und Hudler an der Legende stricken, er sei zu spät rezensiert worden. Gelogen. Kaum gab es uns, lobten wir ihn schon. Fingen aber auch früher als andere an mit dem Mäkeln.
Und machen, anders als andere, mit seinem neuesten Gedichtband weiter. Lichte Gedichte (Haffmans) wurde republikweit nett befunden, besonders weil der Dichter darin unter anderem, für Rezensenten, ungewohnt flapsig seine 96er Bypass-Operation zur kalauernden Todesfuge stilisierte ("Das Leben hat mir / die Instrumente gezeigt").
Ach Gottchen. Als seine erste Frau starb (1989), hat er herzergreifender gedichtet (nachzulesen im Ewigkeitsband Gedichte 1954-1994, bei Haffmans), als er 1 Jahr darauf schon wieder eine Almut heiratete, gab's keine Verse - und als er neulich mit dem Tode rang, ergab das keine neue Qualität. Nur ein bißchen Kokettieren mit dem Understatement.
Ansonsten zeigt Lichte Gedichte einen Gernhardt knapp jenseits des Gipfels seiner Schaffenskraft. Bzw. wenn's denn sein muß, scheißt er jetzt wieder auf das Elegante. Und bricht Gedichte auch mal vor dem letzten Wort ab. Weder weiser noch experimenteller, als er zu Schülertagen schon mal war. Was aber durchaus auch ein Fortschritt zu den Quellen der Gernhardt-Kunst sein könnte (und ein freundliches Nicken in Richtung Weggefährte Henscheid von früher). Jedenfalls beim "Ach"-Lyrik-Stück auf den Sensenmann, der ihm das austickende Lebenslichtlein vorhält ("Ja, die Uhr ist abgelaufen. / Wollen Sie die jetzt zurück? Gibt's die irgendwo zu kaufen? / Ein so ausgefallnes Stück / Findet man nicht alle Tage / womit ich nur sagen will / - ach! ich soll hier nichts mehr sagen? / Geht in Ordnung! Bin schon /").
Bitte nicht.
WING
Robert Gernhardt: Lichte Gedichte Zürich: Haffmans Verlag 1997, 264 S.,
Robert Gernhardt: Gedichte 1954-1994 Zürich: Haffmans Verlag 1996,
Robert Gernhardt: Körper in Cafés Fischer Taschenbücher [13398], 12.- DM
Robert Gernhardt: Die Toscana Therapie München: Der HörVerlag 1997, 1 MC/2 CD, 89 Min., 24.90/45.- DM
Text + Kritik: Robert Gernhardt München: edition text+kritik 1997, 121 S., 28.- DM