Die kleine Krimi-Rundschschau 58. Folge


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Verschwörungsthriller leiden oft darunter, dass die ihnen zugrunde liegende Idee so hanebüchen albern ist. Der weiße Südafrikaner Peter Temple hat dieses Problem nicht, seine Polizei- und Politthriller stecken knietief in der Wirklichkeit und sind beängstigend und beängstigend gut geschrieben. Tage des Bösen beginnt im heutigen Südafrika und führt recht schnell zu einem Film aus vergangenen Zeiten, als in Angola ein übler Kolonialkrieg mit üblen Mitteln ausgetragen wurde. Als der Ex-Söldner Constantin Niemand (was für ein Name!) den Besitz eines Filmes zu Geld machen will, der ein Massaker dokumentiert, hat er sehr schnell einen Haufen Geheimdienste an den Hacken, die vor nichts zurückschrecken, um in den Besitz dieses Films zu gelangen. Die Bezüge zur Wirklichkeit sind deutlich, trotzdem übertreibt Temple den Realismus nicht und erhält seiner Geschichte ihre eigene Wirklichkeit. Der Tonfall ist knapp und rüde, Sentimentalitäten und Frauen als Kreischdekoration kommen nicht vor.

Krimi-Kurzgeschichten haben es schwer. Zwar reichen die Ideen der meisten Lang-Krimis gerade mal für 10 Seiten, aber kaum ein Autor hat die Disziplin, aufzuhören, wenn es gerade gut läuft. Ganz wie ein Bankräuber. Man will ja von der Beute leben. Da helfen gut eingeführte Kurzkrimi-Sammlungen wie die Reihe Mord am Hellweg die seit Jahren zu Europas größtem internationalen Krimifestival gleichen Namens erscheint. Das läuft noch bis Ende November, und gerade erschien Band 6 Kalendarium des Todes. Darin erzählen 22 deutsche Autoren an Stichtagen entlang (von Neujahr über Valentinstag, Weltfrauentag, 1. Mai, Ramadan bis Silvester) in ganz Westfalen herum (von Unna bis Hagen, von Werne bis Münster, von Bönen bis Oelde). Mit dabei sind Neulinge und Routiniers, lokale Helden und überraschenden Gäste. Ex-Schlager- und Opernsänger René Kollo etwa, WDR-Moderator Thomas Hackenberg oder die bayerische Dorfpolizisten-Erfinderin Rita Falk. Es ist wie ein Einbruch im Schließfachsaal: Die ganz große Auswahl und hinter jedem Türchen ein Stückchen Beute.

Ein Polizeirevier in Ankara ist der Mittelpunkt der Krimireihe um den Mordermittler Behzat C., der es in seinem ersten Fall jede berührung hinterlässt eine spur mit dem Selbstmord einer linken Studentin zu tun bekommt, der gar kein Selbstmord war. Der erzählerische Kniff von Emrah Serbes besteht darin, seine Polizeibeamten andauernd die Mantren des allmächtigen Staates aufsagen zu lassen (alle Oppositionellen sind Kommunisten; alle Kommunisten sind Perverse) und sie durch die Geschichte ad absurdum zu führen. Der Chefbulle Behzat C. erinnert dabei in seiner Rüpeligkeit an Inspektor Montalban auf Sizilien, nur ist ein Polizeirevier als Biotop der schrägen Vögel sehr viel ausführlicher ausformuliert. Neben starken Sprüchen herrscht hier der Korpsgeist einer Institution, die oft neben der gesellschaftlichen Entwicklung herläuft. Mehrfach wird sich darüber beklagt, dass man Verdächtige nicht mehr so anfassen dürfe wie früher, jetzt, wo man die EU-Mitgliedschaft erhoffe. Am Ende des ersten Bandes widerfährt dem Ermittler Behzat C. ein derart traumatisches Erlebnis, dass er im zweiten Band Behzat C. - verschütt gegangen überhaupt nicht mehr spricht. Das wirkt nicht nur etwas affektiert, auch die abgelutschte Geschichte um einen Serienkiller, der mit der Polizei Katz und Maus spielt, ist nicht besonders überzeugend.

Robert B. Parker ist tot. Neue Spenser-Krimis wird es von ihm wohl nicht mehr geben. Aber der Pendragon-Verlag, der den lakonischen Amerikaner erfolgreich wiederentdeckte, grub gerade ein Frühwerk aus, das eine Menge Spenserismen enthält. Wildnis handelt von einem Schriftsteller mit Männlichkeitsproblemen, der in Zank mit seiner intellektuellen Frau gerät. Er hat nämlich einen Mord gesehen, den Mörder erkannt, bei der Polizei ausgesagt, und zu Hause seine Frau überfallen und ans Bett gefesselt aufgefunden. Er wird erpresst, seine Identifizierung zurück zu ziehen, tut es und leidet darunter. Er fühlt sich ehrverletzt, weil seiner Frau etwas geschah, sie fühlt sich übergangen, weil er leidet, obwohl doch sie das Opfer war, und dann hilft auch noch ein dunkler Freund dem Paar bei einem Racheplan. Eine gute Einführung in Parker-Probleme.

Radek Knapp ist dafür berühmt, komisch zu sein. Dann müssen wir die Reise nach Kalino eben noch mal lesen, vielleicht verstehen wir dann, was an dieser Gulliver-Variante komisch ist. Ein eigenwilliger Detektiv wird in das von der Außenwelt abgeschlossene Land Kalino gerufen, um dort den ersten Mordfall in der 30jährigen Landesgeschichte zu untersuchen. Dass alles ganz anders ist in diesem Land, gehört zu den unoriginellen Überraschungen des Plots. Der Stil ist jugendbuchartig direkt und phantasielos (einmal sitzt der Detektiv auf einer Couch "wie ich noch nie eine gesehen habe" - das ist doch keine Beschreibung!), der Humor ebenso (naseweise Gerätschaften erklären dem Detektiv die Welt), und alles schnurrt recht brav vor sich hin. Im Klappentext steht, Herr Knapp sei "hintersinnig", und wir sind wohl zu doof um das zu finden.

Eine Mutter vermisst ihren Sohn. Die Leiche im nahen Teich ist aber ein anderes Kind. Und auch der Mann ist kein Hilfe, weil er sich bloß auf die Polizei verlässt. Dafür taucht das Handy des Sohnes wieder auf und der Entführer verabredet sich mit der Mutter. Die hält alles geheim und bricht zu einer komplizierten Jagd auf. Wolfgang Brenner kümmert sich in Aber Mutter weinte sehr hauptsächlich um die gequälte Mutterseele, weshalb wohl "Psychothriller" als Genre auf dem Buch steht. Es ist aber nur ein Krimi streng aus dem Blickwinkel des Zweitopfers.

Seinen deutsch-deutschen Krimi Dunkle Schatten lässt Christoph Ernst Anfang der 90er in Berlin spielen. Einmal, damit sich glaubwürdig noch eine 1938 vor den Nazis in die USA Geflohene mit einem in der DDR überlebenden Juden treffen kann. Und vor allem, damit sich die Hauptperson, die Nichte der Geflohenen bei ihren Recherchen darüber erregen kann, dass der Rosenstraßenprotest, der 1943 möglicherweise 2000 inhaftierte Juden wieder in Freiheit brachte, so wenig historische Aufmerksamkeit fand. Der Film dazu wurde erst 2003 gedreht. Ansonsten liegt Tante Käthe tot auf einem Bahngleis und Nichte Maja ermittelt bei Baulöwen und Arisierungserben, Altkommunisten und Jungnazis, streitet sich mit der zögerlichen Polizei, verliebt sich in einen später Verdächtigen und deckt vor allem auf, dass es nicht nur jüdischen Widerstand gab, sondern auch jüdische Kollaborateure.

Philby. Portrait des Spions als junger Mann ist ein Dokumentar-Roman über Kim Philby, den wahrscheinlich berühmtesten Spion nach Mata Hari. Der Thriller-Autor Robert Littell vergnügt sich darin an der These, dass der Doppelagent Philby vielleicht ein Dreifachagent gewesen sein könnte, der in Wahrheit eben doch dem britischen Geheimdienst zugearbeitet habe. Beweise? Keine. Indizien? - wenige, etwa Philbys Freundschaft zu James Angelton, dem Chef der CIA-Gegenspionage. Auf dem Weg zum Clou braucht Littell allerdings ein bisschen arg lange, das Büchlein und seine Idee strecken sich. Am besten gefällt darin noch das nebenbei erzählte Schicksal einer russischen Verhörbeamtin, die anfangs in der Lubjanka einen zum Tode Verurteilten letztmalig verhört, und die gegen Buchende als Gefangene und Verurteilte selbst mit genau jenen absurden Fragen konfrontiert wird, die sie damals gestellt hatte: Bist du ein englischer Spion? Die absurden Folgen der stalinistischen Paranoia und die Brutalität von Faschismus und Kommunismus sind das eigentliche Thema des Romans, der sich zwischendurch in albernen Frivolitäten verliert (die sich alle um den schwulen Spion Guy Burgess drehen). Littell hat schon besseres geschrieben, aber amüsant ist das allemal.

Band 1 ist uns duchgeflutscht, nach Schwarzer Mond über Soho wird aber wohl jeder nachholen wollen, wie Ben Aaronovitch seine ziemlich düstere Urban Fantasy Crime-Trilogie anlegte. Sie spielt in einer fast realen Gegenwart, in der es Harry Potter Romane gibt und einen Götterkrieg zwischen Vater und Mutter Themse. Scotland Yard hat eine Zauberabteilung und deren einziger Lehrling hat in Band 1 seine Freundin so schwer verletzt, das sie den ganzen 2. Band über hinter einer Gesichtsmaske versteckt bleiben muss, weil niemand ihren Anblick erträgt. Trotzdem muss der Magie-begabte Peter Grant weiter ermitteln. Tote Jazzmusiker liegen in den Underground-Clubs herum, Monster beißen armen Toilettengängern in den Schritt, Grusel, Grauen und Grinsen gehen durcheinander. Und die Handlungsfäden gehen etwas auseinander. Nicht jeder Fall wird aufgeklärt, eine Menge Nebenfiguren treten nur auf, weil sie für Band 3 gebraucht werden.

Er war mal Gerichtsreporter und hat sich dabei offensichtlich sehr über gewisse Richter geärgert. Beides merkt man Thomas Hartls: Brave Mädchen morden nicht an. Was ihn aber dazu treibt, manchmal von einer Zeile zur nächsten den Erzählblickwinkel zu wechseln, erschließt sich nicht. Kaum jedenfalls tritt Tom auf, ist er schon weg und Linda ruft nach ihm. Kaum ist er wieder da, kriegt er einen auf den Kopf und wird bewusstlos. Dann wacht er auf und sitzt in einer geheimen Gerichtsverhandlung. Irgendjemand ist nicht damit zufrieden, dass Tom vor ein paar Monaten bei einem Mordprozess freigesprochen wurde. Und dann ist Tom tot und Linda wird der Prozess gemacht. Von einem ziemlich ekligen Richter. Und ein netter Reporter rettet sie. Den Rest kann man sich denken, aber auch schnell bis zum Showdown so weglesen.

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Peter Temple: Tage des Bösen Deutsch von Sigrun Zühlke. C-. Bertelsmann, München 2012, 431 S., 14,99 / H.P. Karr, Herbert Knorr, Sigrun Krauß (Hg.): Kalendarium des Todes Kalendarium des Todes. Mord am Hellweg VI, Grafit, Dortmund 2012, 351 S., 11,00 / Emrah Serbes: Behzat C. jede berührung hinterlässt eine spur Aus dem Türkischen von Oliver Kontny. Binooki, Berlin 2012, 319 S., 15,90 / Emrah Serbes: Behzat C. verschütt gegangen. Aus dem Türkischen von Johannes Neuner. Binooki, Berlin 2012, 319 S., 15,90 / Robert B. Parker: Wildnis aus dem Amerikanischen von Ute Tanner. Pendragon, Bielefeld 2012, 282 S., 10,95 / Radek Knapp: Reise nach Kalino Piper, München 2012, 255 S., 19,99 / Wolfgang Brenner: Aber Mutter weinte sehr Knaus, München 2012, 288 S., 16,99 / Christoph Ernst: Dunkle Schatten Pendragon, Bielefeld 2012, 367 S., 12,95 / Robert Littell: Philby. Portrait des Spions als junger Mann Aus dem Amerikanischen von Werner Löcher-Lawrence. Arche, Zürich - Hamburg 2012, 286 S., 19,95 / Ben Aaronovitch: Schwarzer Mond über Soho Aus dem Englischen von Christine Blum. DTV, München 2012, 405 S., 9,95 / Thomas Hartl: Brave Mädchen morden nicht Kehrwasser, Linz 2011, 208 S., 19,95