SKEPSIS

100 Affen können irren

Aufsätze zur Schulung der Vorbehalte

Dieses Buch gehört auf jeden Nachttisch. Gleich neben die Papp-Pyramide zum Rasierklingenschärfen und die Lesebrille. Es schärft den Blick für Blödsinn und es läßt zugleich noch-nicht-Erklärtes zu. Gero von Randow, der Wissenschaftsredakteur der "Zeit", versammelte darin Aufsätze aus dem Zentralorgan angelsächsischer Anti-Pseudo-Wissenschaft. Erstaunlich immerhin, daß er im Vorwort zwar die deutschen organisierten Skeptiker (um den Paderborner Sternwärter Wiechozeck) am Rande erwähnt, aber nichts von ihnen zitabel findet. Und schade, daß er einen guten Grund dafür nicht angibt. Viele "Skeptiker" nämlich sind in ihrer aufklärerischen Verbohrtheit noch viel unerträglicher als ihre oft bloß spinnerten Feinde. Die deutsche Anti-UFO-Bewegung etwa gehörte eigentlich mit ihren liebsten Gegnern zusammen in dieselbe Therapie-Maßnahme. Die meist fröhlichen Kopfschüttler vom "Skeptical Inquirer" dagegen verbinden peinlich sauberes Arbeiten (Quellen Überprüfen, Experimente Wiederholen, Statistiken Nachrechnen ...) mit einer edlen Zurückhaltung im Ergebnis.
Etwa so: die "linguistischen Beweise" für Seelenwanderungen (Reinkarnierte können in Hypnose fremde Sprachen) sind nachweislich Unfug. Die angeblichen Studien zur "unterschwelligen Werbung" sind erfunden, gefälscht oder nichtssagend. Das wissen wir. Ob es aber deswegen auch wirklich keine früheren Leben oder subliminale Verhaltenssteuerungen gibt, das wissen wir eben nicht. Ein Skeptiker glaubt nur mit Gründen nicht daran.
Erstaunlich weiter, daß Randow und seine ausgewählten Autoren den Feind des gesunden Menschenverstandes eher in den Para- und Pseudowissenschaften sehen, aber nicht in den eigenen Reihen. Die größten, und gesellschaftspolitisch wirksamsten Irrungen und Fälschungen, von der Verbrecher-Typenlehre bis zum I-Q-Test, stammen immerhin von "harten" Scientisten. Hier verpaßt Randow die Chance, Skepsis nicht als Abwehr-Zauber gegen Stammesfremde einzuführen, sondern sozusagen als internes Immunsystem der Wissenschaft auch gegen eigene Fehlentwicklungen.
Löblich aber, daß er die "Unsauberkeit" der "echten Wissenschaft" immerhin einräumt. Kaum ein neuer und inzwischen akzeptierter Gedanke von Kopernikus bis Mendel hätte nach heutigen Maßstäben auch nur die Anfangsprüfung überstanden. Aber natürlich folgt daraus nicht, daß auch nur ein nennenswerter Bruchteil dessen, was dem trainierten Sachverstand in der Gegenwart blödsinnig erscheint, morgen wahr sein wird.
Löblich auch, daß er zumindest in der Beitragsauswahl andeutet, die üblen Para-Taktiker (von der Pyramiden-Fraktion bis zu den ewigen Perpetuum-Mobilisten) seien nicht etwa die schärfsten Kritiker am verknöcherten "Einsteinschen" Wissenschaftsweltbild (so sehen sie sich selber gern), sondern vielmehr selbst aus schierem Unverstand die größten Elche. Zahlengläubige nämlich, Statistik-Fetischisten, Empirizistiker der krudesten Sorte hier - oder dort prinzipiell bodenfreie Theorie-Huber.
Am titelgebenden Holland-Rad dutzendweis' Bedeutsamkeiten aufzufinden, von der Zahl Pi bis zum heisenbergschen Wirkungsquantum, macht so erstens einen decouvrierenden Spaß - und beweist zweitens immerhin, das die meisten Beweistypen der Para-Wissenschaften irrig sind. Die hirnphysiologische Theorie zur Erklärung der Nahtoderfahrungen, die völlig ohne Jenseitiges auskommt, beweist, das Rätselhaftes auch in Abwesenheit von echten Fakten entweder vernünftig (mit Tunnelsicht und Tagtraumäquivalenten), scheinvernünftig (mit der Geburtstrauma-Wiederholung) oder aber bloß scharlatan (mit dem Himmelstor) gedeutet werden kann.
Und die Geschichte von den 100 Affen? Die geht so: mühsam kamen ein paar Affen darauf, selbstausgebuddelte Kartoffeln vor dem Verzehr zu waschen, mühsam brachten die jungen, erfinderischen, das den alten, traditionellen Affen bei - und plötzlich gab es einen Quantensprung. Als eine "kritische Masse" das Neue konnte, schnellte die Lernleistung sogar bei entfernten Affenkolonien hoch. Und die Geschichte schnellte als Gerücht um die Welt, sickerte in Hunderte von Pseudo-Theorien ein ... leider ist sie kompletter Humbug. Das wir das selber, wenn wir skeptisch wären, anhand der Quellenangaben nachprüfen könnten, das macht das "paranormale Fahrrad" trotz einiger Unwüchte zum gelungenen Propädeutikum. Über die Kornkreise allerdings, die für die Umschlaggrafik benutzt wurden, steht nichts drin.
WING
Gero von Randow (Hrsg.): Mein paranormales Fahrrad und andere Anlässe zur Skepsis, entdeckt im «Skeptical Inquirer». Rowohlt, Reinbek 1993 (9535), 224 S., 14.90 DM ISBN: 3499195356