Kurztipps September 2005

AVANTGARDE

Bad Guy - der 2001 entstandene siebte Film von Kim Ki-Duk (Die Insel, Frühling, Sommer...) ist eine seltsame Mischung aus Dreigroschenoper und Douglas Sirk: ein schweigsamer Zuhälter zwingt eine Studentin, für ihn als Hure zu arbeiten, solange, bis sie ihn liebt. Krude Moral und Macho-Selbstmitleid werden durch eine immer wieder furiose Inszenierung verdeckt, die Musik ist schauderhaft. Die DVD enthält einige Interviews, Text-Credits und ein 4seitiges Booklet.

Straight Into Darkness - sieht aus wie der 100. Billig-Film mit Weltkrieg-2-Setting. Aber der 1963 geborene Jeff Burr, eigentlich ein Horror-Profi, hat (nach eigenem Drehbuch) eine verstörende, im Detail faszinierend mißlungene Parabel über Gewalt und Ängste gemacht. Zwei US-Deserteure stolpern (der Film macht da eine rührend sinnlose Zeit- und Ortsangabe) "im Winter 45" durchs Niemandsland "in Westeuropa". Sie landen schließlich in einem surreal in der Landschaft stehenden Gebäude, in dem sich eine Kinder-Armee verschanzt hat (angeführt von David Warner, dem schlechtesten US-Schauspieler seit 15 Jahren). Und wir sehen eine Schlacht, wie sie seit Peckinpah nicht mehr zu sehen war (allerdings mit erheblich weniger Geld inszeniert). Fast ohne Psychologie, mit wilden Schnitten, Flash-Backs und manchmal genialer Kamera erzeugt das einen Sog, eine Macht, dass man darüber die blödsinnige Story und die vielen handwerklichen Fehler völlig vergisst.

THEATER

Der Kaufmann von Venedig - üppige, aufwändige, wortgetreue und atemberaubend langweilige Shakespeare-Verfilmung mit Starbesetzung. Al Pacino spielt den schlechtesten Shylock, den man sich denken kann, und wo man vorher hoffte, das möge an der Synchronisation liegen, zerstört die DVD auch diese Hoffnung.

HORROR

Devour - amerikanischer College-Horror mit ein paar unüblichen Twists. Am Anfang erklärt ein Professor die (echte) Mythenlehre Joseph Campbells (nach der tatsächlich Zweidrittel aller Drehbücher-Lehrbücher geschrieben werden), dann entpuppt er sich als Ekel und wird umgebracht. Und der schöne Held gräbt sich weiter in seine Albträume vor: Ist der Teufel ein Computerspiel? Hat es meine Mutter umgebracht? Oder war ich das? Huh. Keine Extras.

BASKETBALL

Coach Carter - der 389. Film zum Thema "Coach bringt Losertruppe auf Vordermann", uninspiriert, absehbar, und, weil von MTV produziert, mit entsprechender Mucke aufgepeppt. Für den Film spricht: er erzählt eine wahre Geschichte (der echte Coach Carter taucht in den Extras auf). Gegen den Film spricht: er erzählt eine wahre Geschichte und meint sich daher Logik-Löcher und eine verstolperte Erzählweise leisten zu können.

He Got Game - Spike Lees sentimentaler Propaganda-Film über eine Welt, in der der schwarze Mann nur verraten wird, hat seine Momente, vor allem wenn Denzel Washington als Knacki auf Urlaub eine leise Szene spielen darf. Aber neben der platten Weltsicht nervt vor allem Lees Frauenbild, das knapp über dem eines Neandertalers liegt. Die DVD enthält ein paar Schnipsel von den Dreharbeiten, ein Musikvideo und zwei Text-Infomenüs.

TRAGÖDIE

Haus aus Sand und Nebel - niemand kann so schön Frauen neben der Spur spielen wie Jennifer Connelly. Und niemand portratiert Männer mit jahrelang unterdrücktem Zorn so eindrucksvoll wie Ben Kingsley. Neben einem guten Drehbuch sind die beiden die Hauptattraktion in diesem herzzerreissenden Melodram, in dem es vordergründig um ein Haus geht und wem es gehört, in Wahrheit aber um das Scheitern von Lebensentwürfen. Die DVD enthält einen Audiokommentar, eine B-Rolle, ein kurzes "Making of" und ein paar gelöschte Szenen.

POLIT-BOX

Ken Loach Box-Edition - vier Filme des englischen Regisseurs packt Epix zu einer Box zusammen: Land & Freedom, The Navigators, Carla's Song und Bread & Roses. Da alle bereits vielfach im TV zu sehen waren, wären ein paar Extras nett gewesen. Aber außer einem Text-Infomenü und einer Trailershow haben die DVD nur die Filme zu bieten, immerhin auch in der Originalsprache.

KLASSIKER

Der Mann den sie Pferd nannten - das war der Wolfstänzer der 70er. Ein Weisser fällt unter die Indianer, es gibt keine Untertitel, aber später eine Hochzeit mit der Häuptlingstochter. Richard Harris sieht dabei authentischer aus als die meist etwas zu molligen "Wilden". Aber das Bemühen um Respekt für eine abweichende Lebensform versöhnt mit solch unfreiwilligen Kasperl-Effekten und historischen Ungenauigkeiten. Schade, dass für die Neuausgabe das Original auf 5.1-Dolby aufgeblasen wurde statt Extras beizupacken. Etwa die zeitgenösssichen Indianer-Malereien von Bodmer und Catlin, auf die sich der Vorspann bezieht.

BÜRO BÜRO

The Office - wer kennt David Gervais, Genie und Arschloch? David Gervais ist Co-Autor, Co-Regisseur und Haupt-Monster im britischen Original zum deutschen Stromberg. Die Fake-Doku beobachtet das geheime Büroleben des Mittelstands, und das ist auf der Insel noch viel höllischer als hier. Dreckige Witze, alberne Abstürze, schwärzeste Tragik, aber auch sehr subtile Nebentöne ... davon ist nur wenig im deutschen Nachahmer angekommen. Deshalb blieb die erste Staffel des Originals auch klug unübersetzt. Es gibt Untertitel und eine lange Doku und deleted Scenes.

GEFÜHL

Das Geheimnis des blauen Schmetterlings - in den 90ern ist gerüchteweise wirklich mal ein Schmetterlingsjäger mit einem kranken Jungen in den Dschungel gezogen, damit der noch schnell mal im Leben einen bestimten Falter sieht. Wieder zurück, war der Junge geheilt. Heute ist William Hurt der verschrobene Prof., der von seinem jungen Fan am Herzen geheilt wird, während der (Marc Donato) das Kitsch-Abenteuer locker in ein Peter Pan-Märchen herüberspielt. Ausserdem gibt es viele schöne Naturaufnahmen und in den Extras neben einem Making Of noch etwas Schmetterlings-Info.

SINNFRAGEN

I Heart Huckabees - zum verrücktesten und mutigsten Film der Saison gibt's angemessene Specials: entfallene und verlängerte Szenen, ein Making Off und eine fiktive TV-Show der Existentialisten-Detektive Lily Tomlin und Dustin Hoffman, die einen leibhaftigen Physiker und einen noch leibhafteren Theologen über die Abgründe des Universums befragen, während der Filmkomponist im Hintergrund auf einer Ukulele schrammelt..

KURZFILME

Bestellung 0049 - No Budget Groß-SF-Studentenfilm mit umwerfender Optik à la Brazil und völlig verhunzter Story. Traurige Hologramme klonen Jesus? Das Bonusmaterial ist reichlich und gut: 4 Audiokommentare, Storyboard, Easter Eggs, 50 Min. Making Of, 15 Min. Filmmusik-Feature. Ein Lehrbeispiel für selbstgemachte DVDs. (www.0049. moviebrats.com)

Trautes Heim - Ein Hobby-Mystery-Thriller über Mord und Totschlag in einem hübschen Häuschen in der Vorstadt. Der insgeheim verschuldete Familienvater trifft auf einen maskierten Einbrecher, der Frau und Tochter abschlachtet. Dann setzt er die Maske ab und ist: man ahnt es. Die Laien machen in Buch und Bild aber eine ganz ordentliche Figur. (www.gegenfeuer-produktionen.de)

GeradeRaus - Seit 40 Jahren organisiert die "Junge Filmszene" Schmalfilmer, Videogruppen und DV-Amateure auf dem Sprung zum Semi-Profi. Zum Geburtstag schenkt sie sich eine DVD mit 19 sehenswerten Kurzfilmen, mit 10 illustrierten Lektionen in Filmdramaturgie und einem ROM-Teil voller Infos. (dvd.jungefilmszene.de)

HEULSUSE

Schneeland - wuchtig schmeißt Lindenstraßen-Vater Geissendörfer Maria Schrader, Ulrich Mühe, Julia Jentsch, Joachim Krol in lappländischen Schnee. Eine moderne suizidale Schriftstellerin wankt nach dem Tod ihres Mannes durch die Kälte, bis sie eine Eisleiche samt Tagebuch findet. An deren Drama als vom Vater missbrauchte Bauerstochter in den 30ern wächst die heutige Heulsuse ins Leben zurück. Alle reden grauslichstes Papier, die meisten spielen toll, und an drastischster Archaik ist kein Mangel: Gewalt und Tod und Arschabwischen bis das Herz gefriert.

KLAMAUK

In 80 Tagen um die Welt - Jackie Chan slapstickt einen englischen Erfinder durch eine lose Jules-Verne-Adaption. Viel Krawall und Comic-Action, ein schönes Zitat aus Chans Jugendwerk (der Bank-Kampf) und ein paar Witze über das verknöcherte Empire. Am hübschesten: der Gastauftritt eines gewissen Gouverneurs von Kalifornien, und die naiven CGI-Effekte zwischen den Stationen der Jagd um die Welt.

NATURGEWALTEN

Volcano - Hölle auf Erden - gehört zu einer ganzen Reihe von Katastrophen-Filmen ("Naturgewalten") mit hahnebüchenen Stories. Hier verliert ein Geologe seine Freundin in einer Lava-Spalte in Amerika und findet sie in Italien als Geist wieder. Die anderen Titel sind ähnlich: B-Katastrophen, die sich mit einem Story-Dreh über kaum durchschnittliche Effekte wegsogen.

HORROR

Mimic 3: Sentinel - weil J.T. Petty mit einem stummen Studenten-Kurz-Film beim Sundance-Festival angenehm auffiel, kriegte er gleich einen Debüt-Deal bei einer richtigen Produktion und durfte eine sehr freie Fortsetzung des Riesen-Kakerlaken-Schockers drehen. Mit Neulingen und B-Größen (immerhin: Amanda Plummer), billig in Rumänien und fast ohne Dialog. Meist sehen wir nur, wie ein Jüngling im Haus gegenüber seltsame Vorgänge beobachtet. Sind die Körperfresser zurück? Weiß Hitchcock, was wir hier tun? Und was macht Mystery-Veteran Lance Hendriksen da? Er drehte gerade nebenan, und brachte sogar sein Kostüm vom Nachbarset mit. Insgesamt: interessant, nicht nur als Rear Window-Enkel.