THE AWFUL TRUTH

Spaß-Guerilla

Michael Moores Revoluzzer-Fernsehen

Weil ihm der Kongress-Kandidat in New Jersey zu langweilig war (und der nicht einmal einen Gegenkandidaten hatte), setzte Michael Moore im Jahr 2000 einen Ficus auf die Wahlliste. Die Topfpflanze ließ er brav beim Wahlleiter registrieren ("Ist der Ficus wahlberechtigt?" - "Nun, er ist 25 Jahre alt"), machte Wahlkampf und forderte den Kandidaten zu einer Debatte heraus. Der Spaß wurde deshalb ein bisschen ernst, weil ohne Moores Zutun sich plötzlich im Land weitere Initiativen gründeten, die ebenfalls einen Ficus für den Kongress aufstellten. Und Moores Ficus, immerhin, scheint in mindestens einem Wahlbezirk den republikanischen Gegenkandidaten mit 40 zu 10 Stimmen geschlagen zu haben.
Derlei klugen Unfug trieb Michael Moore in der halbstündigen TV-Show The Awful Truth von 1999 bis 2000, 24 Folgen lang. Obwohl sie ein Nachfolger (und Abklatsch) seiner erfolgreichen ersten Show TV Nation war (die bis 1994 lief), hatten Moore und sein Team immer noch ausreichend Ideen für aufregendes, wildes Fernsehen. Er schickt einen Chor von Kehlkopfkrebs-Patienten in die Zentralen von Philip Morris und Reynolds Tobacco und lässt sie durch ihre Sprechapparate hindurch Weihnachtslieder singen (und fliegt natürlich achtkantig raus). Er legt sich mit einem Milliardär und Umweltverschmutzer an, der daraufhin ein Drehverbot für Moore in New York erwirkt - eine wunderbare Vorlage für Moore. Und weil der damalige New Yorker Bürgermeister Guilliani eine "Macht die Stadt sauber!"-Kampagne fährt, eröffnet Moore mitten in New York einen Sexshop; allerdings einen, wo auf jedem Vibrator, jedem Butt-Plugg und jeder Sex-Puppe Guillianis Konterfei zu sehen ist.
Moore fährt nach Mexiko, um nachzugucken, wo die amerikanischen Jobs geblieben sind. Er geht zur BMW-Niederlassung und fragt, warum sie keinen Pfennig für Zwangsarbeiter unter den Nazis bezahlen. Und manchmal ist er richtig rachsüchtig: Als ein Hotel der "Hollywood Inn"-Kette acht mexikanische Arbeiter entlässt und ausweisen will, schickt Moore ihnen das Gesundheitsamt, das Bauordnungsamt, die Feuerwehr und wen sonst noch auf den Hals und lässt die Brüder zahlen; anschließend zahlt "Hollywood Inn" den Arbeitern eine Entschädigung, die Ausweisung wird zurückgenommen.
Moores Auftritt als Clown, Moralapostel und Revoluzzer ist immer von einer wunderbaren Ruhe getragen. Und wird begleitet von einem ausgebufften Team, das inzwischen genau weiss, wo man die Kamera hinstellt, wie man solche Beiträge schneidet und was für einen Sound man dafür braucht.
Auf 4 DVD ist das jetzt zu besichtigen, im Originalton mit Untertiteln, leider ohne die Extras, die auf der US-Version zu sehen sind. Und wenn sonst nichts wäre: Man bekommt eine starke Sehnsucht beim Gucken - nach mindestens einem ganz anderen Fernsehen.

Thomas Friedrich

The Awful Truth, Collection 1 & 2, insg. 24 Folgen, keine Extras