Abgeschminkt & Der schönste Busen der Welt

Kleine Hühner

Der Vorfilm ist zu lang, der Hauptfilm ist zu kurz

Beide zusammen schaffen in etwa normale Kino-Länge und sind damit schon mal rein formal ein beachtliches Experiment, Geschichten jenseits des Standard-Formats auf die Leinwände zu bringen. Was im zweiten Fall auch eine Art Wiederholungs-Wunder ist. Wie schon Sönke Wortmanns Allein unter Frauen kommt Katja von Garniers Abgeschminkt ins Kino, weil die Abnahme beim mitfördernden Fernsehen so begeisternd ausfiel, daß man das kurze aber gute Stück nicht unausgewertet irgendwo versenden wollte.

Denn der erst dritte und bisher längste Film der erst 26jährigen Filmstudentin Katja von Garnier macht immerhin 55 Minuten lang Hoffnung auf schon wieder ein Neues Deutschen Kino. Was aber hauptsächlich an seiner frechen Kombination aus alten Mitteln und jugendlichem Übermut liegt, und weniger an der Kombi-Packung aus dem preisgekrönten Schönsten Busen der Welt von 1990 und dem im Herbst 1992 als studienbegleitende Fingerübung in zwei Wochen heruntergedrehten Garnier-Film.

Beide Werke entstanden übrigens an der Filmhochschule München. Das sieht man an den Nebendarstellern, ein bißchen auch am Licht, und besonders an der leichten Wurschtigkeit in der Erzählhaltung, mit der Kolorit wird, was etwa in Hamburg sicher wie ein Stolperer ausgesehen hätte. Im Kurzfilm etwa vergreifen sich zwei Männer (Regisseur Rainer Kaufmann und sein Produzent Tomas Wöbke) an Roland Topors Idee von den quergeschlechtlichen Wander-Brüsten, lassen eine Frau erst flachbusig und dann glücklich werden, einen Mann erst zum Titten-Freak und dann glücklich, und dann nach dem finalen Rücktausch beide miteinander König Ludwig spielen. Nun ja, eine platte Akademiker-Comedy fast ohne Stil und ganz ohne Timing. Netter Versuch mit einer Handvoll Lachern, nicht mehr.

Ganz anders Abgeschminkt. Hier erzählen zwei Frauen (Regiesseurin, Autorin und Cutterin Katja von Garnier und ihre Produzentin Ewa Karlström) von zwei Frauen und ihren gegengeschlechtlichen Wander-Lüsten. Die eine, Frenzy (Katja Riemann, herrlich) zeichnet emanzipierte Cartoons und lebt allein - die andere (Nina Kronjäger - komisch) ist Krankenschwester und hat einen langweiligen Fernsehguck-Liebhaber. Damit sind die Klischees schon beisammen und die Masken des Frauenfilms in Trümmer. "Bloß nicht diese Selbstbespiegelungen" wollte Katja Garnier machen, bloß nicht dieses kämpferische. Keine 70er-Politik, keine 80er-Karriere, sondern Selbstbewußtsein am jeweiligen Ort. Frauen wollen nicht mehr einfach alles, sagt sie, sondern sie tun einfach alles.

Katja von Garnier tat alles, um ihren Hauptdarstellerinnen das Buch (im Dialogwitz weitgehend auf Cyntia Heimels Sex-Tips beruhend) auf die Leiber zu schreiben, ihre post-feministische Vergnügtheit ("Ich bin im positiven Sinne MTV-geschädigt") in die Bilder zu bringen - und möglichst viele Gag and Romance-Standards der amerikanischen City Girl Komödien aus den 30ern wieder zum Funktionieren zu bringen. Das klappt.

Die Damen hangeln sich durch ein Wochenende, die eine versetzt ihre Beziehungskiste ("Ein Schreiner, uah, den behältst du doch eh nur bis er dir die Regale an die Wand gedübelt hat"), die andere wird von ihrem Chef gedrängt, lustigere Sachen zu zeichnen - die eine will sich ums Verrecken in einen Märchenprinzen verlieben, die andere bloß nicht. Weshalb es natürlich umgekehrt kommt.

Aber vorher führen Frau Garniers Frauen uns viele weibliche Rituale vor (vom Kleideraussuchen bis zum Telefonbeschwören), über die frau eigentlich nur mit der besten Freundin spricht. Daß alle Männer trotzdem schon längst wußten, daß es auch bei den tough girls der 90er noch so zugeht, macht gerade den Witz aus. Knapp am Rande des Rückfalls ins Vor-Emanzipative. Einen Mann will nämlich jede Frau am Ende. Nur weil ihn beide doch nicht richtig kriegen, entgeht Abgeschminkt der Harmlosigkeit.

Über das bloße "nett" hinaus kommt Abgeschminkt auch, weil Katja von Garnier ihr Handwerk mit so leichter Hand beherrscht, daß die eingesprengten Hommagen an die großen Meister der Publikumsnähe (Stanley Donen, Martin Scorsese) nicht peinlich wirken, und die Montage-Gemeinplätze erstmal funktionieren, bevor auffällt, daß sie nicht sehr neu sind. Etwa den finalen Bumms der enttäuschten Zwangsromantikerin (mit Gedeon Burkhard, dem Schönling aus Wortmanns Kleine Haie - ha, hier tut sich ein Abgrund an Brat-Pack auf) zu unterschneiden mit dem ausgelassenen nächtlichen Geschwinge auf der Kinderschaukel, bei dem die überzeugte Singelin mit dem haltlosen Halodri ("Ich arbeite bei der amerikanischen Armee, aber vielleicht können wir trotzdem Freunde sein") fast den Himmel erreicht - das Auf und Ab und Hin und Her erzeugt eine Art Psycho-Slapstick ... das bald darauf plötzlich hereinbrechende offene Ende macht eher ratlos.

Der tolle Typ, der die graue Kreativmaus erweckte, wohnt woanders (so ganz klar ist das nicht, Einzelszenen kann Katja Garnier noch besser als lange logische Bögen) was das Glück auf ein paar Wochenenden zu beschränken scheint. Aber ihre Cartoons sind farbenfroh geworden, ihre Kleidung hell - ein guter Job, ein Mann und trotzdem Freizeit für die Freundin, wer nähme das nicht. Umgekehrt schockte der fiese Ficker die liebe Verträumte zur selbstbestimmten Vernunft ohne Mann. Jedenfalls vorerst. Das selbstgedübelte Regal fällt zwar noch von der Wand, aber ein Anfang ist gemacht. Die Lebensentwürfe haben sich überkreuzt, die Geschichte ist fertig, und zum ersten Mal nach langer Zeit würden wir nach einem Deutschen Film gerne sehen, wie er weitergeht.

Aber vorher werden wir vermutlich sehen, wie Katja von Garnier Wolfgang Petersen Dreharbeiten mit Clint Eastwood dokumentierte: The Making of "In the Line of Fire" ist ihre erste inetrnationale Arbeit. Nach der sie dann erstmal fertig studieren will. Patentes Mädel.

WING