ALADDIN

Dschinn-Fizz

Psychoanalyse unterm Teppich

Erstens: nach etwa einem Drittel des Film versucht der lustige Begleiter des Helden, ein Affe, eine Banane zu schälen. Scheitert aber, vom hilfreichen Flaschengeist im Zuge der Verprinzung des Helden in dessen Parade-Elefant verwandelt, mit seinen daumenlosen Tretern an der Befriedigung früher natürlicher Bedürfnisse. Was wir im Kino kaum tragisch aber ungemein erheiternd finden. Zwei von drei Themen des ganzen Films sind in dieser Schlüssel-Szene formuliert, und ein Gutteil des Dramas moderner Animation insgesamt auch. Aber zunächst zum kleinsten Drittel: der Handlung.

Aladin, der sich auf Englisch schon immer "Aladdin" schrieb, verliebt sich in eine inkognito über den Basar streunende Prinzessin. Die wiederum weist alle adligen Heiratsbewerber ab, die Papa Sultan ihr so zuführt. Der hampelt seinerseits naiv an den Fäden des bösen Großwesirs Dschafar, dem nun wieder ein krakelender Sidekick-Kakadu (sozusagen als gespiegelter Affe) ratgebend auf der Schulter hockt. Jeder will jeden manipulieren, alle setzen ihre Interessen über die der anderen, und als Aladin, durch mehrfache Täuschungen dazu bewogen, für Dschafar die Wunderlampe findet, reibt er sich selber einen Super-Mann da heraus, mit dem das Manipulieren noch mehr Spaß macht. Und ihm sogar die Frau seiner Träume einbringt, nachdem er erst zum Schein-Prinz wurde und sich dann doch als der wahre ehrliche Dieb in uns allen entpuppt. Schön.

Zweitens: der Dschinn. Genial Robin-Williams-adäquat synchronisiert von Peer Augustinski, mit wenigen Ausfällen ins Sächselnde (was war da im Original: bostonian?) und stellenweise sogar für Erwachsenen-Hirne viel zu schnell, hetzt der Wundermann aus der Lampe und durch eine Vielzahl von Gestalten, spielt auf mediale Standards von der peinlichen Gameshow bis zum effeminierten Herrenausstatter an, sieht mal aus wie Big Arnold goes Groucho, und ist in rasendem Wort und Bild auf Bild ein Plädoyer für den Unernst der unbegrenzten Möglichkeiten. Spritzig. Und doch kann neben ihm der fliegende Teppich tricktechnisch gut bestehen, ein simples Rechteck mit menschlicher Körpersprache und Fransen, neben brachialer Rasanz das hinreißende Baumeln.

Daß das nun wieder, drittens, nur via Computeranimation so flüssig hinzukriegen war, während der formflirrende Dschinn weniger Rechenleistung als Phantasie brauchte, das deutet mitten in das produktive Dilemma der modernen Animation. Hintergründe, perspektivische Veränderbarkeit, Musterverzerrung und "Kamerafahrten" werden inzwischen vom Computer realisiert. Manches Dekor stammt sogar gleich von einem abgefilmten Modell (das überaschend erschröckliche Löwinnen-Maul-Tor zur Lampe). So wird der Zeichentrickfilm immer enger an die Wirklichkeit gebunden, auch die Stories werden komplizierter und besser gebaut, die Figuren kriegen charakterlich und optisch beinahe Tiefe (vor allem durch die Pixar-Effekt-Firma, die inzwischen auch wieder den Zeichentrickvorfilm ins Kino gebracht hat, allerdings nicht vor Disney-Produktionen) - ihre Haut aber ist glatt wie zu Schneewittchens Zeiten.

Das stört das Auge etwas, weil "echt" und "disney" als Wirklichkeits-Dimensionen sich überkreuzen. Wo früher die Flachheit der Figuren (mit der Ralph Bakshi im sonst schrecklichen "Cool World" gute Witze macht) ihr ungestörtes Wesen war, da reiben uns heute 2- und 3-D-Elemente in einer Figur ständig die Unhaltbarkeit der Fiktion in die Augen. Und während die Disneys noch immer die alten Bananen in der Storyline schälen (Junge kriegt Mädchen, Schurke kriegt Saures), haben die Rechner einen unübersehbaren Elefanten aus dem alten Affen gemacht. Tragisch. Komisch. Und mit Sinn.

Dumbo war damals Disneys Tarn-Tier für Ausflüge in die Drogenfrage, und heute muß das Ende der Masturbationsphase Aladins ("a lad" heißt "junger Kerl") erstens mehrfach (man ist ja modern) und zweitens überhaupt codiert werden (man macht ja einen Kinderfilm). Aber so wie "Die Schöne und das Biest" eigentlich vom Erwachen und Befrieden (nicht "befriedigen") der weiblichen Sexualität handelte (wie man aus einem haarigen Knüppel einen süßen Prinzen dressiert), so behandelt "Aladin" hinter aller Oberfläche den Spaß, den wir Männer an einsamen Phantasien hatten, und den wir fürs größere Zweier-Glück aufgeben mußten. Aladin gibt dem Dschinn am Schluß die Freiheit, den fliegenden Teppich aber behält das neue Paar.

Wir behalten dagegen einen wunderbar gemischten Zeichentrickfilm, der seinen Alkoholanteil gut unter der Erregung verschiedener Oberflächengeschmäcker verbirgt. Für den Kindergeburtstag kann man den Sprit weglassen, und "Aladdin" macht immer noch jede Menge Spaß; für den Psychlogenkongreß kann man noch etwas Dschinn nachgießen.

-w-