INTERVIEW

Man fühlt sich fremd

Martin Schwickert sprach mit Hans-Christian Schmid über seinen Film Crazy

"Nach fünf im Urwald", "23" und jetzt "Crazy" sind allesamt Filme übers Erwachsenwerden. Wie kommt es, dass Sie diesem Thema so treu bleiben?
Hans-Christian Schmid: Das ist eher Zufall. Ich war eigentlich auf der Suche nach einem Stoff für Schauspieler ab Mitte 20. Aber als ich den Roman von Benjamin Lebert gelesen habe, hatte ich große Lust, diese Geschichte zu verfilmen und habe es in Kauf genommen, dass es nun noch einmal ein Film über Jugendliche wird. Aber die Geschichten sind sehr unterschiedlich. Der goldene Käfig des Internats in "Crazy" ist eine ganz andere Welt, als die, die in "23" beschrieben wird. In "Nach fünf im Urwald" werden die Erlebnisse einer jungen Frau beschrieben, in "Crazy" stehen die Jungs im Vordergrund.
Wie fühlt man sich als 35jähriger Regisseur unter Jugendlichen?
Hans-Christian Schmid: Teilweise fühlt man sich fremd, weil man erlebt, wie sich Dinge im Lauf der Zeit verändern. Wenn man z.B. sieht, welch große Bedeutung Musik für die Jugendlichen hat, was in meinem eigenen Leben immer weniger wichtig wurde. Nahe fühlt man sich in den Momenten, in denen man ihre Leidenschaft spürt, sicher auch mit einem sehnsüchtigen Blick auf die Zeit, in der man manches intensiver erlebt hat.
Ihr letzter Film "23" war in den politisierten 80ern der BRD angesiedelt. Crazy wirkt als Gegenwartsgeschichte eher unpolitisch. Was ist der Unterschied zwischen der Jugend damals und heute?
Hans-Christian Schmid: In Benjamin Leberts Vorlage spielt Politik keine Rolle. In der abgeschlossenen Internatswelt von Neuseelen geht es um Familie, Liebe, Schule und Erwachsenwerden. Als ich in seinem Alter war, gab es an jeder Schule eine Anti-AKW-Gruppe und eine Schülerzeitung, die eindeutig links war. Wenn ich die jungen Schauspieler betrachte, stelle ich fest, dass auch sie mit Politik sehr wenig am Hut haben. Das hat vielleicht damit zu tun, wie sich die Politik heute entwickelt hat, dass es hier keine Vorbilder gibt. Aber das meiste ist, denke ich, gleich geblieben. Abgesehen davon, dass man jetzt per Handy SMS-Nachrichten verschickt und die Musik noch schlechter geworden ist, kämpft man als 16jähriger heute gegen dieselben Dinge an, wie damals: Schaffe ich die nächste Schularbeit? Darf ich bei meinem Freund übernachten? Kann ich mir die Fahrkarte zum Konzert leisten?
Inwiefern waren die Jugendlichen am Drehbuch beteiligt?
Hans-Christian Schmid: Mit Benjamin Lebert haben wir vor allem am Anfang sehr eng zusammengearbeitet. Die erste Drehbuchfassung basiert nicht nur auf seinem Roman, sondern auch auf dem, was er uns darüber hinaus berichtet hat. Wir hatten fast 14 Stunden an zusätzlichen Erzählungen von ihm auf Band. Die Dialoge haben wir gemeinsam mit den jungen Schauspielern entwickelt. Zwei Wochen lang haben wir die vorletzte Drehbuchfassung zusammen gelesen und überarbeitet. Der letzte Schliff kam während der Dreharbeiten.
Ist es einfacher mit jungen Schauspielern zu arbeiten?
Hans-Christian Schmid: Mit Jugendlichen zu arbeiten, ist weniger schwer, als man denkt. Man bekommt ganz wunderbare Momente von ihnen, weil einige Kontrollebenen, die Erwachsene haben, wegfallen. Manchmal - bilde ich mir ein - sieht man in ihr Innerstes und da sind sie auch nicht eitel und denken nicht an die Wirkung, die sie in diesem Moment haben. Aber man ist natürlich auch mit anderen Problemen konfrontiert. Willy, der Jüngste, hatte z.B. einfach eine Woche lang Heimweh. Da war nichts zu machen. Das passiert bei Erwachsenen nicht.
Wie inszeniert man Sexszenen mit Jugendlichen?
Hans-Christian Schmid: Sexszenen mit Jugendlichen inszeniert man eigentlich gar nicht. Man hat als Regisseur hier keine Möglichkeit, die Schauspieler zu etwas zu bewegen, wenn sie nicht möchten. Julia und Robert haben mit mir schon lange vor dem Drehtag über diese Szene gesprochen. Trotzdem waren die beiden dann sehr nervös. Wir haben alles genau durchgeprobt, wie Robert sitzen würde, wie Julia ihm die Hose öffnet und all die Dinge. Julia hat klar gesagt: Man darf meinen Busen, aber nicht meinen Po sehen. Daran haben wir uns natürlich gehalten. Während der Szene war ich nicht im Raum, nur die Kamerafrau und der zweite Kameramann. Wir haben mit zwei Kameras gedreht, um nichts wiederholen zu müssen. Nach der Szene hat Robert geweint, weil sich die ganze Anspannung plötzlich löste. Man muss den Schauspielern das Gefühl geben, gut betreut zu sein, und ihnen vertrauen. Mehr kann man eigentlich nicht tun.
Musik spielt in "Crazy" eine große Rolle. Wovon haben Sie sich bei der Gestaltung des Soundtracks leiten lassen?
Hans-Christian Schmid: Die vier Hauptdarsteller sollten sich selbst jeweils einen Song für ihre Szenen aussuchen. Robert kam mit Nick Cave an, Oona mit Zap Mama, Tom mit "Element of Crime". Während der Dreharbeiten brachten die Schauspieler auch ihre CDs mit, die dann in den Pausen andauernd aufgelegt wurden und die wir in den Film einbeziehen wollten. Aber wenn man dann bei den Inhabern der Rechte anfragt, muss man feststellen, dass hier manchmal bis zu dreihunderttausend Dollar für einen Titel aufgerufen werden. Dann folgt die langwierige Suche nach Ersatz. Man verwendet Stücke von unbekannteren Musikern und stellt fest, dass das gar nicht so schlecht ist, weil ein Hit z.B. von den Red Hot Chilli Peppers die Szene zudecken würde. Ich habe auch versucht, meinen Musikgeschmack einzubringen, aber wenn die Darsteller dieses oder jenes Stück für die Stimmung einer Szene passender fanden, sind wir in diese Richtung gegangen.
Jugendliche sind an der Kinokasse seit langem die wichtigste Zielgruppe. Warum kümmert sich der deutsche Film so wenig um deren Probleme?
Hans-Christian Schmid: Ich bin mir nicht sicher, ob Jugendliche im Kino nur Filme über Jugendliche sehen wollen. Aber davon abgesehen sind in Deutschland insgesamt nur wenige Drehbücher im Umlauf, die etwas zu erzählen haben. Ich lese viele junge deutsche Autoren, deren Bücher weniger von einer Geschichte, als von Stimmungsbeschreibungen und Larmoyanz geprägt sind. Bei all den Schwächen die Benjamin Leberts Roman hat, erzählt er eine Geschichte, die von Herzen kommt. Wenn man das hat, ist man eigentlich schon sehr weit.