Das Glück der großen Dinge

Wie Maisie es sieht

Ein einfühlsamer Scheidungsfilm aus Kindersicht

Maisie ist gerade einmal sechs Jahre alt, aber wenn man ihr lange genug in die Augen schaut, erkennt man in dem ebenso aufgeweckten wie tieftraurigen Blick eine Lebenserfahrenheit, die weit über ihr eigentliches Alter hinaus geht. Das Mädchen lebt mit seinen Eltern in einem geräumigen New Yorker Townhouse. Ihr Kinderzimmer ist geschmackvoll eingerichtet und ausgestattet mit zahllosen Kuscheltieren und teurem Spielzeug.

Dem materiellen Wohlstand, von dem das Mädchen umgeben ist, steht die emotionale Verwahrlosung ihrer Familie gegenüber. Der Streit der Eltern unten im Wohnzimmer bietet die regelmäßige Geräuschkulisse, vor der Maisie abends einschläft. Wenn sie die Augen schließt, erkennt man die Unruhe unter den Lidern und an der Spannung ihres Körpers den festen Willen, die Konflikte der Erwachsenen nicht an sich heranzulassen.

Als die Mutter und der Vater beschließen, sich scheiden zu lassen, gerät das Mädchen mitten hinein ins elterliche Kriegsgebiet, in dem das Sorgerecht für das Kind zur Siegestrophäe wird.

Sowohl die abgehalfterte Rockmusikerin Susanna (Julianne Moore) als auch der Kunsthändler Beale (Steve Coogan), der immer wieder zu langen Dienstreisen nach Europa aufbricht, lieben ihre Tochter. Aber mehr noch lieben sie sich selbst und beide sind zu narzisstisch veranlagt, als dass sie dem Kind den notwendigen emotionalen Halt geben könnten. "Warum gehen wir zwei nicht einen schönen doppelten Espresso trinken?", sagt der Vater zu seiner Tochter, als er sie vom Kindergarten abholt.

Nachdem Beale vom Gericht das Sorgerecht zugesprochen bekommen hat, heiratet er praktischerweise das Kindermädchen Margo (Joanna Vanderham), die sich auch schon vor der Trennung um Maisie gekümmert hat. Wenig später zieht Susanna nach und ehelicht den sympathischen Barkeeper Lincoln (Alexander Skarsgård), der zwar ein wenig ziellos durchs Leben schlendert, aber einen warmherzigen Umgang mit dem Mädchen findet.

Während die Mutter auf Tour und der Vater auf Geschäftsreise geht, werden die neuen, deutlich jüngeren Partner der Eltern für Maisie zu sichtbar verlässlicheren Bezugspersonen. Das Glück der großen Dinge ist weder eine herzzerreißende Scheidungstragödie noch ein deprimierendes Sozialarbeiterdrama, das die moralische Verwerflichkeit elterlichen Handelns geißelt.

Vielmehr atmet der Film trotz seines ernsten Themas eine gewisse Leichtigkeit, weil die Regisseure Scott McGehee und David Siegel die Ereignisse konsequent aus der Perspektive des Kindes zeigen. Maisie nimmt die Konflikte der Eltern oft nur aus dem Augenwinkel wahr, die Konsequenzen des Scheidungskrieges brechen immer wieder ohne Vorwarnung über sie herein. Dennoch bewahrt sich das Mädchen den Schutzmantel der kindlichen Naivität, der das Gute im Menschen sehen will. Das Glück der großen Dinge basiert auf dem Roman "Maisie" von Henry James aus dem Jahre 1843, den die Drehbuchautorinnen Nancy Doyne und Carroll Cartwright auf sehr sensible Weise modernisiert haben.

Mit großer Genauigkeit werden hier die Folgen des familiären Zerfalls abgetastet. Dazu trägt vor allem auch das durchgehend hervorragende Ensemble bei.

Martin Schwickert

What Maisie Knew USA 2011 99 min R: Scott McGehee, David Siegel B: Nancy Doyne, Carroll Cartwright nach dem Roman von Henry James K: Giles Nuttgens D: Julianne Moore, Alexander Skarsgård, Onata Aprile