DIE DREIFACHE LOCKE

Der Sohn des Friseurs

Nehmen sie Platz, lehnen sie sich zurück, übersehen sie die Haare im Waschbecken, lassen sie mich ihren Hals mit weißem Krepp umwinden, ihren Körper einwickeln in ein großes, buntes Nylonlätzchen ... und dann mache ich das Beste aus ihrem Kopf. Auf ihm und in ihm. Und ich werde ganz bestimmt nicht über Fußball reden.

Auch nicht über Filme. Das erstaunt als erstes in dieser deutsch-französisch-tschechischen Co-Produktion. Wer sich so nahe an das Sujet von "Der Mann der Friseuse" herantraut, der braucht schon eine Menge Disziplin, auf jedes Augenzwinkern zu verzichten. Das schafft der Film, ist ganz bei sich, dreht seine eigenen Haare um den kleinen Finger ... und kann gerade dadurch doch dann auch den Strictly Ballroom-Fans gefallen, den Skurilitäten-Sammlern und den Querbezüglern. Obwohl: Die werden sich ein bißchen daran gewöhnen müssen, wie Jean-Michel Ribe und Jean-Paul Meurisse zum Beispiel "Vertigo" dann gerade genau nicht zitieren. Soviel an Tratsch aus der Nachbarschaft.

Den erträgt Friseur Flavier (eindrucksvoll zurückhaltend: Jean Yanne) gelassen. In seinem kleinen, altmodischen Salon rasiert er seit Urzeiten schon dem greisen Balletlehrer die Beine, türmt der Metzgersgeliebten auch nach Ladenschluß den Dutt zur erotischen Turmbaufrisur, tut für jeden schweigend das richtige, nur für sich tut er nichts. Bis er eines Abends ins Wasser springt, um einen jungen Mann zu retten, der sich lieber umbringen möchte. Im folgenden Gerangel und Geplansche ist schon die halbe Geschichte enthalten: das Opfer muß dem Retter helfen, beide sind nass bis auf die Knochen, und eine wunderbare Freundschaft aufgrund gegenseitiger ungefragter Bemutterung beginnt. Der junge Gus (Albert Duponell) etwa, der mit sich nirgendwohin weiß, und deshalb ständig angeblich nach Nizza oder Australien oder Amerika aufbricht, richtet dem Alten nur schnell noch den Laden neu ein. Der alte Georges richtet dem Liebesbekümmerten dagegen das Leben wieder her, möchte am gefundenen Sohn das gut und besser machen, was beim verlorenen daneben ging. Ein jeder kämmt und strähnt und legt und wellt am anderen herum. In bester Absicht und mit gar nicht mal so schlechten Folgen.

Die eine ist: wir gehen ins Museum, wo uns Meister Flavier an den Bildern der alten Meister die Haarkunst erläutert, den Sinn der Tolle und des Wirbels, den Reiz von Zopf und Pferdeschwanz ... die andere: der Einsiedler-Friseur wird als Ex-Star-Haar-Artist entdeckt. Er hat Grace Kellys Kopf in Schwung gebracht, er war der Weltmeister der Zunft.

Jetzt will er es, ganz langsam aus der Retardierung erwachend, noch einmal werden. Jetzt wechselt der Film von Paris (dessen Innenräume sämtlich in den Babelsberger DEFA-Studios standen) nach Karlsbad, dem Zentrum heruntergekommener Herrlichkeit. Internationale Spitzen-Coiffeure treffen sich in einer so gefälscht noblen Atmosphäre, daß jede Miß Dorftrampel davon träumen würde. Wir sind nicht in der wahren Glimmerwelt, wir sind bei den verkannten Meistern, und bei den verschrobenen. Einer davon ist Heinz Schubert, als deutscher Extrem-Lockenwickler. Ein anderer frisiert im Dauerlauf, eine dritte arbeitet strikt nur Glatzen auf ... die Geschichte verzwirbelt sich ins ausladend Groteske, wie die Frisuren der Models. Aber das Gegengewicht ist da: in Story, Stil und Szene. Ein Ausscheidungs-Frisieren etwa besteht Flavier allein mit einem Handgriff und einem Gummiband. Auch im ganz Einfachen liegt Poesie. Es muß nicht immer die dreifache Locke sein, sein früherer Sieges-Kammzug.

Es muß auch nicht immer das Pandämonium der schrägen Typen sein, in dem der stille, traurige Künstler seine Passion bis zur Neige ausleben kann - die Menschen seines Heimatviertels tun es auch. Zumal die genauso verrückt, aber überhaupt nicht genial sind. Und ein oder zwei kleine Andeutungen der unter allem liegenden seelischen Kopfhaut der Konflikte schimmern nur durch die virtuos frisierte Bilderpracht. Mal als Theaterdonner, mal als gerader Messerschnitt, mal eben nur locker aber voller Liebe zusammengehalten ... "Die dreifache Locke" hält vielerlei zusammen und das meiste an der Oberfläche. Daß in der Tiefe noch etwas ist, daß unter den Haaren das Herz beginnt, jedenfalls eher als das Hirn, das ist das Versprechen jeder Locke. Auch dieser. Dreifach. Und es ist wahr.

-w-