EINE FRAGE DER EHRE

Cruises Mission

Ein uniformbürgerliches Trauerspiel

In einem japanischen Stützpunkt schlagen drei amerikanische Soldaten ihren Kameraden tot, weil er schwul ist - und ein hoffnungsvoller amerikanischer Präsident kassiert seine erste Niederlage, als er ein Anti-Diskriminierungsgesetz für homosexuelle Militärs durchbringen will. Das ist die Wirklichkeit.

In einem kubanischen Stützpunkt führen zwei amerikanische Soldaten per Klassenkeile den Tod ihres Kameraden herbei, weil er undiszipliniert die Corps-Ehre untergrub - und ein hoffnungsloser Hallodri von Militäranwalt wird zum Helden, weil er die armen Jungs rauspaukt und den befehlsgebenden Chef als den Bösen bloßstellt. Das ist der Film.

Vier Faktoren steuern die Fiktion, vor aller und gegen jede nachträgliche Aktualität. Erstens die lange Tradition des amerikanischen Gerichtsfilms, in dem das Gute mit den Waffen des Geistes triumphiert über alle Intriganz - zweitens die auch recht lange Tradition des amerikanischen Militärgerichtsfilms, in dem von Ehrgeiz zerfressene Offiziere zum höheren Ruhme der am Ende doch gerechten Institution geschlachtet werden (hier doppelt einschlägig Dmytryks "Crossfire" und "The Caine Mutiny") - drittens die Schauspieler-Karriere des Tom Cruise, der von "Cocktail" bis "Top Gun" von seinen Mitspielern immer wieder zum Erwachsen werden getragen werden mußte - und die gerade richtig losgehende Regie-Karriere Rob Reiners, der aus seinen jugendlich trans-klassischen Klischeestörzereien á la "Braut des Prinzen" inzwischen herausgewachsen ist. In Richtung gereifter Pflichterfüllung an der Unterhaltungsfront. Weshalb die "Frage der Ehre" keine Frage mehr des Regie-Stils ist.

Sondern, viertens, der Schauspieler. Jack Nicholson brilliert als rollensicherer Grenz-Kommandant-Fall, der mit seinen Männern die Freiheit verteidigt und dafür über Leichen geht, ja notfalls die eigenen Leute zu Tode diszipliniert. Und daß die feinen Pinkel vom Hauptkommando ihn seinen Job nicht auf seine Art tun lassen, ist für ihn die größte Kränkung. Auch Tom Cruise macht eine ansehnliche Figur beim allmählichen Verfertigen seines Charakters. Erst ist er der geniale Yuppie, der alle Fälle ohne Ansehen von Person und Sache in außergerichtlichen Absprachen elegant vom Tisch kriegt, am Ende der leidenschaftliche Kämpfer für seine Klienten, der Entlarver der Wahrheit und Retter der Ehre der Uniform. Aber wie sieht die aus?

Daß der junge Held zur Verantwortung erwacht, ein mutiger Mann vor Ordensspangen wird und den alten Helden mit forensischen Tricks dazu bringt, sich als Verbrecher aus mißverstandener Ehre zu offenbaren, das hat schon was. Daß die Angeklagten freigesprochen werden, weil die unglücklicherweise tödlich ausgehende Spezialbehandlung ja auf Befehl erfolgte, ist schon zweifelhafter (mindestens Körperverletzung im Dienst war es ja wohl). Daß die erfolgreich Verteidigten dann auch noch einsehen, warum sie immerhin unehrenhaft entlassen werden ("Wir sollen für die kämpfen, die nicht für sich selbst kämpfen können. Und das haben wir nicht getan.") stößt schon saurer auf. Und wenn am Ende der einfache Soldat und Befehlsnotstandstäter seinen Rechtsanwalt zackig grüßt, dem er anfangs die Ehrenbezeugung als Offizier und Gentleman verweigerte, daß ist mindestens ärgerlich restaurativ.

So haben wir einen unterhaltenden Abend mit Cruises kubanischer Krise gehabt, haben einige ernsthafte Fragen nach Ehre und Gewissen immerhin gestellt, aber wir haben keine flammende Anklage des Prinzips von Befehl und Gehorsam gesehen, haben ertragen müssen, wie die Selbstheilungskräfte des militärischen Apparats beschworen wurden, und haben weniger der Wahrheit die Ehre gegeben als dem guten Mann und der Fahne. "Eine Frage der Ehre" (Originaltitel "A Few Good Men") ist kein Schritt zur Demokratisierung der Streitkräfte. Um so schlimmer für die Wirklichkeit.

WING

abweichendes original

weil er den bösen befehlsgebenden Kommandanten vor Gericht demaskiert. Das ist der Film.

in dem die Gerechtigkeit mit den Waffen des Geistes siegt (bis zu James Stewarts Seitenableger "Mrs. Smith goes to Washington") -

Sondern hauptsächlich eine der Schauspieler. Jack Nicholson brilliert in seinen wenigen Auftritten als Wieder- ja Ausgeburt des Cpt. Queeg, Tom Cruise bewältigt seine kubanische Krise sehr ansehnlich, sogar Demi Moore überlebt ihre unklare Rolle als strikt rechtstreue Internal Affairs-Offizierin, rigide Leit-Moralistin beim Cruise Missionieren und bewundernde Fast-Geliebte des mutigen Mannes vor Ordensspangen. Das reine Agieren hilft dem Zuschauer leicht über den Mangel an Aktion hinweg. Und die Dichte der Klischees (incl. Versöhnung zerstrittener Rechtsvertreter im Regen) überdeckt fast vollständig die Löcher in der Tragödien-Struktur. Was für eine Ehre steht überhaupt in Frage?

Jack Nicholson vertritt als Chef in Guantanomo Bay die Frontier-Ideologie: wir verteidigen die Freiheit und gehen dafür über Leichen. Notfalls auch über zu Tode disziplinierte Schlappschwänze in der eigenen Einheit. Daß er, durch forensische Tricks verführt, diesen menschenverachtenden Patriotismus öffentlich eingesteht, ist die Stärke des Films. Und seine Schwäche. Denn der Trickster ist Tom Cruise. Und der gibt eben nicht nur nach einigem Sträuben der unbequemen Wahrheit die Ehre, sondern restauriert auch mit seinem Sieg über den Verbrecher aus mißverstandener Ehre den Ruf der Marines. Und einer der beiden schließlich freigesprochenen Befehls-Totschläger (wieso eigentlich, sie waren es doch?) grüßt am Ende zackig seinen ehrenwerten Verteidiger. Obwohl er dessen lockeres Verhältnis zur Disziplin anfangs insubordinierend fand. Und obwohl der gehorsame GI bis kurz vor Schluß noch lieber für sein vorgesetztes Schwein in den Knast gegangen wäre, als sich unehrenhaft aus der Truppe werfen zu lassen.

So aber geschieht's, er sieht's auf den letzten Metern sogar ein, und bis auf den teuflischen Jack haben so alle Beteiligten ihr Ehrlebnis. Ein uniformbürgerliches Trauerspiel. Ein unterhaltsamer Abend. Aber keine Demontage, keine Demokratisierung der Hierarchie, kein Cruise goes Clinton. Um so schlimmer für die Wirklichkeit.

WING