ENGEL DES UNIVERSUMS

Ganz normal verrückt

Portrait eines Schizophrenen

Paul hat sie nicht mehr alle. Schizophrenie heißt die Diagnose der Ärzte. Aber das ist nur klangvoller Begriff, um seinen Zustand den Anderen zu erklären. Wie es in ihm drin aussieht, weiß niemand so genau. Man kann nicht in die Menschen hineinschauen. Schon gar nicht in verrückte Menschen. Der isländische Filmemacher Fridrik Thór Fridriksson versucht es in Engel des Universums trotzdem.

Ein wenig exzentrisch war Paul (Ingvar Eggert Sigurdsson) eigentlich schon immer. Als Maler hat er eine wilde Begabung für grobe Pinselstriche. Das Zeug zum Genie hätte er vielleicht, wenn seine Sicherungssysteme stärker ausgelegt wären. Paul wohnt noch bei seinen Eltern. Einfache Leute, die gelernt haben, ihren Sohn zu nehmen, wie er ist, auch wenn sie nicht immer verstehen, was er sagt. Dann verliebt sich Paul in eine Tochter aus gutem Hause. Sie findet Paul lustig. Eine Zeit lang. Bald kehrt sie wieder zurück zu ihren Freunden in die schicken Restaurants. Paul verrennt sich in seine Enttäuschung und findet nie wieder heraus. Es folgen cholerische Ausbrüche, Selbstmordversuche, Psychiatrie und Tranquilizer. Trotz des rauhen Anstaltsalltags findet Paul unter seinesgleichen auch ein wenig Geborgenheit. In der Klinik komponiert Kollege Oli Beatles-Songs auf der Gitarre und überträgt sie telepathisch direkt zu Paul McCartney. Viktor unterschreibt seine Schecks gerne mit Adolf Hitler und lädt beim Freigang auf des Führers Kosten zu einem 5-Sterne-Menue ein.

Schizophrenie, sagt der Arzt in der Klinik, ist tief in der isländischen Seele verankert. Man denke nur an die vielen Sagen von Feen und Trollen. Dem märchenhaften Wesen der nördlichen Heimat hat sich Regisseur Fridriksson stets verbunden gefühlt. In Filmen wie Children of Nature und Cold Fever entwickelte er einen mystischen Realismus, der immer wieder ironisch auf keltische Fabelwelten zurückgegriffen hat. Um die Grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit zu erkunden, ist Fridriksson also der richtige Mann am richtigen Ort. Mit seinem Protagonisten spielt auch der Film ein wenig verrückt. Manchmal schwebt Paul einen halben Meter über dem Bett oder läuft wie der leibhaftige Messias trockenen Fußes über das Wasser. Fridriksson versucht, sich in den Wahnsinn hinenzuversetzen, ohne ihn erklären zu müssen. Mit seiner Hauptfigur wirft sich der Film in ein Wechselbad der Stimmungen, stolpert in komische Szenen hinein und stürzt sich wenig später schon wieder in depressive Abgründe. Das ist auf lange Sicht ein quälendes Verfahren, auch für das Publikum. Wenn sich der Protagonist am Schluss in den Tod stürzt, ist man ein wenig traurig, aber auch irgendwie erlöst und fühlt sich damit dem verrückten Paul vielleicht am nächsten.

Martin Schwickert

Englar Alheimsins ISL/D/NW/DK 2000 R: Fridrik Thór Fridriksson B: Einar Mar Gudmundsson K: Harald Paalgard D: Ingvar Eggert Sigurdsson, Baltkur, Björn Jorundur Fridbjörnsson