20 Feet From Stardom

Schattenwesen

Eine Dokumentation über Sängerinnen im Hintergrund

Wenn von Backgroundsängerinnen die Rede ist, geht es nicht um Weiße. "Die haben wir damals `The Readers` genannt", erzählt Darlene Love zu Beginn lachend, "weil sie so schön vom Blatt ablesen konnten. Und sonst nichts."

Mit Darlene Love und dem Auftritt schwarzer Backgroundsänger beginnt die Geschichte einer anderen Musik. Rock'n'Roll und Rhythm'n' Blues übernahmen das Frage und Antwort Spiel zwischen Prediger und Chor aus den Messen (auffällig viele Backgroundsängerinnen kommen aus einer Pastorenfamilie). Fortan waren Frontkünstler von Steve Wonder bis Sting, von Ray Charles über die Ike & Tina Turner Show bis zu den Rolling Stones ohne die Stimmen aus dem Hintergrund nicht mehr denkbar.

Morgan Nevilles sehr lebhaft präsentierte Dokumentation verwendet viel Zeit darauf, diese Geschichte der zweiten und dritten Stimme zu erzählen. Was es bedeutet, sich in den jeweiligen Sound einzufühlen, im Hintergrund eben unauffällig, aber dennoch wichtig zu sein.

Und dann nähert sich der Film einigen der Branchengrößen, die teilweise auch eine Solokarriere verfolgten.

Da ist die schon erwähnte Darlene Love, die mit einem Knebelvertrag an den legendären und legendär skrupellosen Soulproduzenten Phil Spector gebunden war, der Loves Stimme ohne deren Zustimmung anderen Bands untermischte. "Es ist eine komisches Gefühl", erzählt sie, "wenn du auf der Bühne jemanden die Lippen bewegen siehst und dazu die eigene Stimme hörst." Erst mit vierzig Jahren konnte sie ihre eigene Karriere beginnen - nachdem sie jahrelang als Putzfrau gearbeitet hatte, weil sie in der Branche nicht mehr arbeiten wollte.

Lisa Fischer, jahrelang Leadsängerin auf den Tourneen der Rolling Stones, wird von Melville bei den Proben zu einem Konzert von Sting beobachtet, der von der Sängerin in den höchsten Tönen schwärmt.

Fischer, die stimmgewaltige Tata Vega, Merry Clayton, Claudia Lennear oder Judith Hill - sie alle stehen für den Satz, der im Film von mehreren Interviewpartnern geäußert wird: Für eine Karriere sind weniger Talent als Glück und ein sehr großes Ego notwendig.

Die hier vorgestellten Sängerinnen, deren Stimmen mühelos den derzeitigen Chart-Standard toppen, haben dieses Manko erfahren und begriffen. Und wir begreifen, dass eine großartige, raumgreifende Persönlichkeit, wie diese Sängerinnen sie präsentieren, während sie in die Interviewkamera von Morgan Melville sprechen, eben nicht mit einem ebenso raumgreifenden Ego zu verwechseln ist. Wenn es der Kunst dient, folgen sie einfach ihrer Kunst. Dafür werden sie vom Publikum nur am Rande wahrgenommen - aber bewundert von Stars wie Mick Jagger, Sting oder Bruce Springsteen, die freimütig feststellen, dass ihre Musik ohne diese Stimmen nicht denkbar wäre.

Uns gönnt der Film die überraschende Erfahrung, eine Menge Songs aus den 50ern neu zu hören, wenn wir plötzlich wissen, zu wem die Stimmen gehören, die wir nie beachtet haben. 20 Feet From Stardom erhielt dieses Jahr den "Oscar" als bester Dokumentarfilm. Nicht, weil er irgendwie innovativ wäre. Aber er hat sein Material so geordnet, dass er jederzeit unterhaltend und überraschend ist. Mehr kann man von einer Dokumentation, die gerade mal 1 Millionen Dollar gekostet hat, nicht erwarten.

Thomas Friedrich

USA 2013 R & B: Morgan Neville K: Nicola B. Marsh D: Darlene Love, Lisa Fischer, Judith Hill, Sting, Mick Jagger, Bruce Springsteen. 89 Min.