»23«

Die Zahl ist alles

Der Muff der 80er und wie Weltverschwörung

Der deutsche Film entledigt sich des Korsetts heiterer Beziehungsbeliebkeitreigen. Nach mehr oder weniger gelungenen Versuchen von Tom Tykwer, Thomas Jahn und Lars Becker schickt sich nun Hans-Christian Schmid ( Nach fünf im Urwald ) an, die Bandbreite zu erweitern. Sein Film 23 erzählt die wahre Geschichte von Karl Koch, einem Hacker, der sich in den 80ern für den KGB einspannen ließ.
Der Film beginnt und endet mit der Wiederwahl Richard von Weizsäckers als Bundespräsident 1989. Ein blasser Jüngling schreibt das Gründungsjahr der BRD auf einen Zettel, addiert die einzelnen Zahlen und schon haben wir die erste 23 auf der Leinwand. Aha, da versteckt sich wohl ein System - und der blasse Kerl, der niemand anders als Koch ist, weiß es zu entschlüsseln. Wir verlassen das geschichtsträchtige Jahr und begeben uns mit Koch (August Diehl) vier Jahre zurück. Anstelle einer Bibel blättert er den lieben Tag lang in einem Schinken, der die Zahl 23 in Verbindung mit weltweit operierenden Geheimbünden bringt. Hinter jedem relevanten Ereignis wittert Karl eine Weltverschwörung.
Das kalte Klima der 80er bietet dafür genug Gelegenheit: das Attentat auf Olof Palme, die amerikanisch-lybischen Auseinandersetzungen oder die Existenz einer Mauer mitten durch Berlin. Um sich freizukämpfen von der allgegenwärtigen Trostlosigkeit greift Karl zu Drogen oder der Computertastatur oder gleich beiden. Mit seinem Freund David (Fabian Busch) hackt er in die Zentralrechner der Republik - zunächst aus Spaß, dann mit Geheimauftrag.
Selten verlassen Karl und sein Freund die Wohnung. Draußen liegt das Hannover der 80er. Nur Moskau sei noch schlimmer, behauptet eine Filmfigur. 23 gelingt mit den wenigen Ortswechseln ein kammerspielartiger Muff. Schmid evoziert die Atmosphäre, indem er Grau- und Brautönen das Herrschaftsrecht einräumt. In seiner durchgehenden Düsterkeit wirkt der Film grauenhaft statisch.
Schmid zweites Kinowerk schmückt sich mit geradlinigem Realismus. Das heißt Doku-Charme in den kleinsten Facetten: alte Commodores, Rubbel-Buchstaben und modische Lächerlichkeit der durchweg erfrischenden Darsteller. Kein Schmus, kein Ballast umweht den Reifeprozeß Karl Kochs bis zum unausweichlichen Ende. Nur das Motiv der 23 bleibt langsam auf der Strecke. Aber das gehört vielleicht zu den 80ern. So mancher verlor, woran er damals glaubte.

Ulf Lippitz