8 MILE

Klasse statt Rasse

Eminem rappt sich aus dem Elend

2002 war das Jahr des Eminem. Neben allerlei Musik-Awards für sein neues Album steht der Erfolg seines semi-autobiographischen Filmdebüts "8 Mile" - sowohl an den Kinokassen als auch bei den Kritikern - für den vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere. Eminem spielt hier den Detroiter Nachwuchs-Rapper Rabbit, der wiederum recht unverholen für Eminems Leben um 1995 - also vor seinem großen Durchbruch - steht.
Detroits Hip Hop-Szene führt damals, angesichts der Eastcoast/Westcoast-Streitereien zwischen New York und L.A., ein kümmerliches Dasein. Und das letzte, wonach sich deren fast ausschließlich schwarze Homeboys und Homegirls sehnen, ist ein weißer Rapper. Das ist auch Rabbit/Eminem klar, der bei seinem ersten Reimduell im örtlichen Hip Hop-Club vor Angst das Klo vollkotzt - und anschließend vollends versagt. Die restlichen Filmminuten verbringt er im wesentlichen damit, an seinem Rapstil zu feilen, um dem amtierenden Freestyle-König doch noch die Krone abzuluchsen.
Der Skandalrapper, der live gerne mal mit Motorsäge erscheint und seine Familienprobleme bis zum Erbrechen in der Öffentlichkeit zelebriert, vermeidet hier jede Form von over-acting. Er ist erstaunlich introvertiert, konzentriert und verfügt über einen ätzenden Humor, mit dem er auch seine sympathisch-vertrottelte Clique nicht verschont. Die deutsche Synchronisation ist dabei ohne große Peinlichkeiten gelungen. Wohl auch, weil die Rap-Einlagen (gottlob!) nicht übersetzt wurden. Der ständige Totalausfall seines schrottreifen Autos als Running Gag und die Streitereien mit seiner versoffenen Mutter (Kim Basinger) aus der Wohnwagensiedlung machen seine Herkunft deutlich: einfach nur White Trash ... und überhaupt kein Hauch von Ghetto-Romantik oder gar Coolness.
Regisseur Curt Hanson ( Wonder Boys , L.A. Confidential ) zeigt dazu ein Bild von Detroit, das an Beirut nach dem Bürgerkrieg erinnert. Vor diesem Hintergrund verwandelt Eminem beim letzten Reimduell im abgewrackten Hip Hop-Club seine vermeintliche Schwäche in Stärke: Über dem Beat von Mobb Deep s melancholischem Hip Hop-Klassiker "Shook Ones" rappt er seinen Gegner schonungslos an die Wand: "Seht her, Leute! Ich besitze nur einen Müllsack mit Kleidung, ich lebe bei meiner asozialen Mutter, meine Freundin geht fremd, mein Auto ist ein Schrotthaufen und ich muss in der dreckigsten Fabrik Detroits malochen - but I just don't give a fuck!" Wem's dreckig geht, der darf auch rappen. So schlägt das mit den anwesenden Schwarzen geteilte Elend in Form von "Klasse" den Faktor "Rasse" - und Eminems Weg nach ganz oben steht nichts mehr entgegen.
Trotz aller Klischees, von denen 8 Mile nicht wenige bietet: Die Aufsteigerstory eines angehenden Stars, der es "against all odds" und nur durch den Glauben an sich selbst endlich schafft, wurde schon zigmal schlechter erzählt. Die Faszination, die von Hip Hop als sozialem Medium für Austausch und Anerkennung ausgeht, hat der Film nicht nur durch die mitreißenden Freestyle-Einlagen gut umgesetzt.

Frank Krings

USA 2002. R: Curtis Hanson. B: Scott Silver. K: Rodrigo Prieto. D: Eminem, Kim Basinger, Brittany Murphy