»AGNES BROWNE«

Irische Frauen

Mama mit Bodenhaftung

Nach dem Tod ihres Mannes steht Agnes Browne mit einer Hinterlassenschaft von sieben hungrigen Kindern allein im Dublin der späten 60er Jahre. Um den alten Browne scheint es nicht schade gewesen zu sein, und zum Trauern bleibt ohnehin keine Zeit. Gleich nach der Beerdigung steht Agnes wieder an ihrem Marktstand, um wenigstens die Zinsen an den Kredithai zahlen zu können. Agnes Browne ist eine dieser proletarischen Steh-Auf-Figuren, wie sie irische und britische Geschichtenerzähler gerne erfinden: patent, pragmatisch, mit losem Mundwerk und Herzen am rechten Fleck. Regisseurin Anjelica Huston spielt ihre Hauptfigur selbst mit einer dezenten Mischung aus aristokratischer Grazie und plebejischer Bodenhaftung. Im Stechschritt, Zigarette im Mundwinkel und den Kinderwagen unsanft vor sich her schiebend, rückt Agnes morgens mit ihrer besten Freundin Marion (Marion O'Dwyer) zur Arbeit aus. Stil und Klassenbewusstsein liegt in jedem ihrer Schritte, die Freundschaft der beiden Frauen hilft über die Härten des Alltags hinweg. Zwischen Markt, Kinder, Küche und Sozialamt beginnt Agnes mühsam ein neues Leben. Zögernd gibt sie den Avancen des französischen Bilderbuch-Bäckers Pierre (Arno Chevrier) nach, der mit knackigen Baguette-Stangen um ihr Herz wirbt. Aber vor allem Busenfreundin Marion erweist sich als trinkfeste Witwentrösterin, die, wenn es hart auf hart kommt, zwei Karten zum Tom-Jones-Konzert aus der Tasche zaubert. Frauen unter sich ist das Gegenstück zum Elendsnaturalismus, in dem sich Die Asche meiner Mutter suhlte. Emily Watsons Mutterfigur wurde vom Schicksal paralysiert, während Agnes ihm mit Galgenhumor und Pragmatismus entgegentritt. Beide Filme sind Bestseller-Verfilmungen und für den US-Markt produziert. So ist auch Frauen unter sich mit irischen Heimatklischees und sentimentalen Effekten gut bestückt. Schließlich wird Freundin Marion noch ein Krebsgeschwür angedichtet, um die Emotionen des Publikums bei der Stange zu halten.
Trotzdem ertrinkt das Frauenschicksal nicht im Tränenmeer, weil Anjelica Huston es als Regisseurin und Hauptdarstellerin versteht, tragische Momente in kleine Gesten zu verpacken, und der selbstironische irische Humor das Rührstück immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückbringt.

Martin Schwickert