DIE AHNUNGSLOSEN

Papa war schwul

Ein Blick auf die römische Szene

Idylle. Spielerische Vertrautheit. Wärme: Antonia und Massimo passen hervorragend zueinander. Nach fünfzehn Jahren noch. Wie Jungverliebte flirten sie im Museum. Wie zwei Unzertrennliche kuscheln sie sich ins Ehebett. Sie Ärztin, er Art Director, eine Villa am Stadtrand von Rom. Harmonie. Perfekt.
Massimo verliert bei einem Autounfall sein Leben. Antonia (Margherita Buy) beginnt Schlaftabletten zu nehmen. Sie entdeckt ein langjähriges Verhältnis des Verstorbenen. Ängstlich versucht sie Kontakt mit der Geliebten aufzunehmen - die Geliebte ist ein Geliebter. Michele (Stefano Accorsi) entpuppt sich als Massimos andere Seite.
Antonia zweifelt an ihrem Leben. Sie sucht Michele erneut auf, will die Beweggründe verstehen, das unbekannte Leben ihres Mannes begreifen. Unmerklich nimmt sie in der offenen WG im angesagten römischen Viertel Ostiense seinen Platz ein. Sie erfährt viele kleine Geschichten von Freud und Leid anderer Mitbewohner, erlebt eine ihr bis jetzt verschlossene homosexuelle Welt. Transen, Chatter, Aids-Patienten - leicht plakativ, aber liebevoll gezeichnet.
Aber versteht Margherita? Regisseur Ferzan Ozpetek leitet seine Protagonistin sanft von Oberfläche zu Oberfläche. Doch die beängstigendste Frage wagt er nicht zu stellen: War Massimo schwul? Michele denkt ja, Antonia nein. Beide reden nicht darüber. Auch ein typisches Zeugnis italienischer Lebenskultur.
Ozpeteks Film stellt manche Frage nicht, aber er ist unzweifelhaft poetisch. Er will keine Urteile fällen, nur das Leben abbilden.

Ulf Lippitz