ALLES IST ERLEUCHTET

Wände der Erinnerung
Ein Jude auf Spurensuche in der Ukraine

Durch die dicken Brillengläser leuchten Elijah Woods blaue Frodo-Augen wie Autoscheinwerfer. Mit seinem schwarzen Anzug, der Krawatte, dem streng gescheiteltem Haar wirkt der junge Amerikaner Jonathan wie ein Außerirdischer in den weit ausladenden ukrainischen Landschaften. "Das war einmal der schönste Fleck der Welt" sagt der schweigsame alte Mann, der am Steuer des Trabant sitzt und den Fremdling durch die Heimat seiner Vorfahren kutschiert. Warum die intakte Naturlandschaft ihre Schönheit verloren haben soll, kann der Betrachter nicht erkennen. Der junge amerikanische Jude ist in die Ukraine gereist, weil er eine Frau finden will, die seinem Großvater damals vor den heranrückenden Nazis das Leben gerettet hat. Jonathan hat sein Leben dem Erinnern verschrieben. Die Wand seines Zimmers in New York ist übersät mit sauber beschrifteten Klarsichtbeuteln, in denen sich Familienfotos, Postkarten und Erinnerungsstücke befinden.
Bei der Suche helfen ihm der junge Ukrainer Alex (Eugene Hutz) und dessen Großvater (Boris Leskin), deren Familienunternehmen sich auf die Vorfahrensuche gut betuchter Juden spezialisiert hat. Die Reise beginnt als bizarres Road-Movie durch ein Land, das sich den zivilisatorischen Vorstellungen eines Großstadtamerikaners beharrlich verweigert. Schon der Versuch, ein vegetarisches Gericht zu bestellen, endet zwangsläufig in der Groteske. Aber je weiter die drei Männer in unwegsames Gelände vordringen, um so mehr nähern sie sich der verlorenen Erinnerung an.
Liev Schreibers Alles ist erleuchtet ist die sehr gewagte Adaption von Jonathan Safran Foers Roman. Den zentralen Erzählstrang, in dem Foer die Geschichte des jüdischen Schtetl Trachimbrod über zwei Jahrhunderte in den buntesten und skurrilsten Farben beschreibt, lässt Schreiber komplett unter den Tisch fallen. Das ist für die Fans des Romans sicherlich ein Schock. Aber so sehr die Historie des zerstörten Schtetls das Herzstück des Romans ist, würde eine Visualisierung von Foers magischem Realismus wohl im Desaster enden.
Foer geht es darum, wie sich Erinnerung durch die Generationen hindurch immer mehr verformt, eben weil es den Ort, an dem sich die Erinnerung manifestieren könnte, nicht mehr gibt. Und so erweist sich die dreiste Verkürzung beim näheren Hinsehen als weise Entscheidung. Locker und leicht kommt Schreibers Verfilmung anfangs als kauziges Road-Movie daher und arbeitet sich langsam in die Tiefe der Geschichte hinein.
Und Schreiber findet beeindruckende Bilder für den melancholischen Surrealismus. Mitten in einem Sonnenblumenfeld steht das Haus, in dem die alte Frau wohnt. "Ihr seid da. Ich bin es", sagt sie und führt die Reisenden hinein, wo sich die Fundstücke, die sie in Trachimbrod vor dessen Zerstörung aufgesammelt hat, in beschrifteten Schachteln bis zur Decke stapeln.
Trotz und sogar wegen der drastischen Beschneidungen ist Schreiber eine schwierige Literaturverfilmung gelungeen, die auf eigenen Beinen steht.

Martin Schwickert
Everything Is Illuminated. R&B: Liev Schreiber, nach dem Roman von Jonathan Safran Foer K:Matthew Libatique D: Elijah Wood, Eugene Hutz, Boris Leskin. Bundesstart: 15.12.05