ALS DAS MEER VERSCHWAND

Schichtweise abblättern

Die düsteren Geheimnisse einer neuseeländischen Großfamilie

Als der gefeierte Kriegsberichterstatter Paul Prior (Matthew MacFadyen) zur Beerdigung seines Vaters in seinen neuseeländischen Heimatort zurückkehrt, hat man den alten Mann schon unter die Erde gebracht. Mit nichts als Vorwürfen begrüßt der Bruder (Colin Moy) ihn, und schon in den ersten Filmminuten erkennt man, dass die Gräben in dieser Familie tief und die Wunden nur unvollständig verheilt sind.
Wie ein Archäologe gräbt sich Regisseur Brad McGann durch die Vergangenheit seiner Hauptfigur, legt Erinnerungsstücke frei, kombiniert sich wiederholende Motive miteinander, sucht nach passgenauen Gegenstücken, entwirft und verwirft die Vorstellung von dem, was gewesen ist.
Die zentrale Kammer der Erinnerung ist eine Hütte, die sich Pauls Vater abseits des Grundstückes als Refugium eingerichtet hatte. Zwischen Lexika, Atlanten und Pattie Smith-Platten hat Paul hier mit seinem Vater die weite Welt entdeckt, die er später als Kriegsreporter ausführlich bereist hat. Die Hütte war auch der Fluchtpunkt für Vater und Sohn vor der depressiven Mutter, deren Leiche Paul in seinen Erinnerungen immer wieder im Fluss treiben sieht.
Jetzt sitzt Paul, der inzwischen als Aushilfslehrer an seiner früheren Schule arbeitet, immer häufiger mit Celia (Emily Barclay) in dem alten Refugium. Celia ist die Tochter seiner verflossenen Jugendliebe. Und seine Schülerin.
Dass sich Lehrer und Schülerin außerhalb des Klassenzimmers treffen, wird von den Bewohnern des Dorfes misstrauisch beäugt. Als Celia eines Tages verschwindet, gerät Paul unter Verdacht und muss sich den dunkelsten Kapiteln seiner Vergangenheit neu stellen.
Mit seiner verschachtelten Rückblendendramaturgie animiert McGann das psychologische Forschungsinteresse des Publikums. Immer neue Schichten der Familienstruktur werden frei gelegt, die das Handeln der Figuren in der Vergangenheit und Gegenwart bestimmen. Unmerklich gleitet Als das Meer verschwand dabei im letzten Drittel in die Gefilde des Kriminalfilms, der die Unschuld seiner Hauptfigur zu beweisen sucht, von der nur das Publikum, niemand oben auf der Leinwand überzeugt ist.

Martin Schwickert

In My Father's Den Neuseeland 2005 R&B: Brad McGann K: Stuart Dryburgh D: Matthew Macfadyen, Miranda Otto, Emily Barclay