»ANNA UND DER KÖNIG«

Triebstau-Drama

Jodie Foster sucht sich seltsame Rollen

Als Vorlage diente das Musical Der König und ich , das 1956 mit Yul Brynner und Deborah Kerr in den Hauptrollen verfilmt wurde. Die Gesangseinlagen wurden in der neuen Version bedauerlicherweise aus dem Skript gestrichen. Statt dessen ist die exotische Romanze zwischen dem König von Siam und der selbstbewussten englischen Lehrerin zeitgemäß mit allerhand antikolonialen, multikulturellen und feministischen Untertönen aufgerüstet worden. Jodie Foster spielt die beherzt unabhängige Witwe Anna Leonowens, die sich im Jahre 1862 mit ihrem Sohn vom victorianischen England ins ferne Königreich Siam aufmacht, um dort den Kindern des Monarchen westliches Bildungsgut nahe zu bringen. Am Hofe von König Mongkut (Chow Yun-Fat) herrscht tiefstes Patriarchat: 23 Ehefrauen, 42 Konkubinen und 58 Kinder nennt der Regent sein Eigentum - für eine emanzipierte Frau wie Anna ein durchaus gewöhungsbedürftiges Ambiente. Anna unterrichtet die Söhne und Töchter in englischer Sprache, fördert durch gezielte Weiterbildungsmaßnahmen das weibliche Selbstbewusstsein der Konkubinen, und gibt dem kleinen chauvinistischen Thronfolger "Onkel Toms Hütte" als Bettlektüre mit auf den Weg. Nach anfänglichen Reibereien erkennt Anna, dass der fürsorglich-polygame Monarch der westlichen Zivilisation durchaus aufgeschlossen gegenübersteht und mit der Modernisierung seines Landes einer Eroberung durch die britische Kolonialmacht zuvorkommen will. Die bösen Engländer planen nämlich mit Hilfe noch böserer Rebellen einen Putsch, und Anna gerät zwischen die politischen Fronten. Inzwischen haben sich König und Lehrerin über alle kulturellen Grenzen hinweg fürchterlich platonisch ineinander verliebt. Anna und der König ist ein klassisches Triebstau-Drama. Ganze 148 Minuten lang scharwänzeln Jodie Foster und Chow Yun-Fat umeinander herum, ohne dass es zu einer erlösenden Lippenberührung kommt. Ekstatischer Höhepunkt der asexuellen Beziehung ist der gemeinsame Walzer auf dem Tanzparkett. Als engagierte Lehrerin macht Jodie Foster mit gewohnt kühlem Charisma ihre Sache ja noch ganz gut, in den romantischen Szenen wirkt sie jedoch ziemlich deplaziert. Die Melange aus politisch korrektem Historienfilm, Power-Frauen-Porträt und monumentalem Kitsch will einfach nicht funktionieren. Darüber können auch gigantische Palastanlagen, goldbeschmückte Elefantenhorden, purpur-farbende Kostümorgien und ein 75 Millionen Dollar Budget nicht hinwegtäuschen.

Martin Schwickert