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Der Haufen

Ein Stadtneurotiker in Insektopia

Es ist eine ganz einfache "Junge trifft Mädchen, Junge kriegt Mädchen, Junge verändert die Gesellschaftsstruktur von Grund auf"-Geschichte. So faßt Woody Allen, auch in der Synchronfassung nicht zu verkennen, den komplizierten, komplett im Computer generierten Monumental-Film in Interviews zusammen. Dessen modernen Grundton schlägt er schon am Anfang, in der Eröffnungsequenz, die auch der Trailer war, an.
Unter einer manhattanesken Skyline aus Gräserspitzen liegt der Held beim Analytiker auf der Couch: wenn man das mittlere von 3 Millionen Kindern sei, kriege man einfach zu wenig Beachtung, mäkelt er. Er hat Potenzprobleme: nur das 10fache seines Körpergewichts kriegt der kleine Kerl gestemmt. Und Spaß hat er schon gar nicht am Leben als Arbeiter-Ameise: er fühle sich so unbedeutend.
Gar nicht wahr: "Z" ist das beste, was dem Haufen passieren kann. Z wird den Bösewicht besiegen, die Prinzessin befreien, die Welt retten - und den Aufstand des Individualismus gegen den Kastenstaat zu einem großen Triumph der Solidarität führen. Außerdem ganz nebenbei von Spartacus bis Metropolis , von Starship Troopers bis Biene Maja die Filmgeschichte durchstreifen. Und einen Meilenstein der Trick-Animation errichten.
Vorher aber wird es traurig: müde Werk- und Kampf-Ameisen hängen an der Blattlaus-Bar herum, stumpfe Stampftänze sind das einzige Vergnügen der formierten Massen, nur ein zerdötschter Veteran faselt vom Paradies hinter dem nächsten Abfalleimer - und eine freche Ameisenprinzessin sucht sich inkognito ausgerechnet den quengeligen Z fürs Unters-Volk-Mischen aus. Es funkt, die beiden tanzen für einen Abend wild aus der Reihe - dann ist die Schöne wieder weg - und unerreichbar in der strengen Ameisenhaufen-Hierarchie. Nur einen Weg sieht Z, sich ihr zu nähern: Er tauscht mit einem Theken-Kumpel den Platz in der Gesellschaft. Z wird Soldat für die Palast-Parade, der Freund Weaver (akustisch und animationsästhetisch eine herzliche Hommage an Sly Stallone) nimmt die Spitzhacke, das Schicksal nimmt seinen Lauf. Z wird ein Kriegsheld ohne eigenes Zutun, Z wird der Hauptfeind eines intriganten Generals, Z wird geehrt und verhaftet, Z flieht und nimmt die Prinzesin als Geisel, Z zankt sich mit ihr und sie rettet mehrfach sein Leben, Z entdeckt das Paradies - und deckt die Staatsstreich-Pläne auf ... es passiert mehr als in Vom Winde verweht . Und es sieht alles ganz famos aus, charmant, formidabel sogar, um ein Wortspiel zu machen.
Leider gehen die vielen Wortspiele in der Übersetzung verloren (hochnäsige Wespen sind WASPs, die White-Anglo-Saxon-Protestant-Oberschicht). Und leider hält die Regie (oder besser: Adventure-Programmierung) die drei Millionen Einzelleistungen nicht völlig stringent zusammen. Es sieht so aus, als seien wichtige Szenen des Hintergrund-Komplotts beim Endschnitt weggefallen.
Aber bei Computer-Filmen gibt es keinen Cutter. Nur Zeitdruck. Schließlich hat John Lasseter, der mit Toy Story den ersten Voll-Computer-Film vorlegte, seine Insekten-Version ( A Bug's Life ) fast fertig. Bis dahin aber sitzen wir gern mit Z, seiner Braut und anderen sechsbeinigen Dropouts um den glimmenden Streichholzkopf hinterm Picknickplatz und philosophieren ins Dunkle: was, wenn die Welt viel größer wäre als ein armer Käfer sie sich vorstellen kann? Und was, wenn nicht?

WING