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Getriebene

Nach »Gegen die Wand« erzählt Fatih Akin in wieder eine Geschichte zwischen den Kulturen


Das Interview zum Film

Wenn man von Fatih Akins neuem Film spricht, sollte man nicht mit der Geschichte anfangen, sondern vielleicht mit dem Ton, in dem diese Geschichte erzählt wird. Von der Melancholie, der Gelassenheit, der Präzision der Bilder, der Art wie die Kamera den Figuren direkt ins Gesicht schaut. Auch von der gedämpften Melodramatik, die die Emotionen wie durch eine Glasscheibe betrachtet und trotzdem eine fühlbare Nähe herstellt.

Nach dem rauschhaften Erfolg wollte Akin alles anders machen. Und so ist Auf der anderen Seite das Gegengift zur Getriebenheit des rasanten Liebesdramas Gegen die Wand geworden. Nicht Hamburg, sondern das gelassenere Bremen ist der Ausgangspunkt der Geschichte.

Ein alter türkischer Mann (Tuncel Kurtiz) hat das Alleinsein satt und engagiert die Prostituierte Yeter (Nursel Köse) als bezahlte Lebensgefährtin. Der Sohn, der in Hamburg als Germanistik-Professor in morgenstillen Hörsälen über Goethe doziert, ist zunächst irritiert, lernt die ungewöhnliche Stiefmutter jedoch bald schätzen. Als der Vater seine Geliebte im Suff schlägt, stirbt diese nach einem Sturz an den Verletzungen. Sohn Nejat macht sich auf nach Istanbul, um Yeters Tochter Ayten zu suchen - und der Film dreht die Zeit zurück auf Anfang.

Ayten (Nurgül Yesilçay) muss die Türkei verlassen, weil sie als militante kurdische Politaktivistin von der Polizei gesucht wird. Zunächst taucht sie bei Genossen in Hamburg unter und macht sich in Bremen vergeblich auf die Suche nach ihrer Mutter, von deren eigentlichen Beruf sie nichts ahnt. Wieder zurück in Hamburg trifft sie die Studentin Lotte (Patrycia Ziolkowska), die trotz der Einsprüche der Mutter (Hanna Schygulla) die illegale Immigrantin bei sich aufnimmt. Die beiden verlieben sich ineinander.

Nach einer Straßenkontrolle wird Ayten in die Türkei abgeschoben und landet sofort im Gefängnis. Lotte folgt ihr nach Istanbul und lernt Nejat kennen, der dort einen deutschen Buchladen übernommen hat. Er ahnt nicht, dass die Frau, die Lotte im Gefängnis unterstützt, Yeters Tochter ist.

Es ist ein Film der tragischen Ereignisse, der vergeblichen Versuche gegen das Schicksal anzukämpfen. Trotz des kühl durchkomponierten Plots und der erlesen distanzierten Bildästhetik, gehen die Figuren im Filmkunstwillen nicht unter. Mit ebenso kraftvollen wie melancholischen Charakteren hat Akin sein multikulturelles Melodram ausgestattet, das durch die klug verwobene Handlungsstruktur seinen eigenen ruhigen erzählerischen Sog entwickelt.

Martin Schwickert

D 2007 R&B: Fatih Akin K: Rainer Klausmann D: Baki Davrat, Nurgül Yesilçay, Hanna Schygulla