NICHT AUFLEGEN!

Im Visier

Ein Film in einer Telefonzelle

Knapp fünf Minuten ist der Film in Bewegung. Dann steckt er fest. In einer engen Telefonzelle mitten in New York. In der 53. Straße Nähe Times Square steht einer der letzten geschlossenen Münzfernsprecher Manhattans. Ein Relikt aus einer Zeit, als man Telefonieren noch als nicht-öffentliche Angelegenheit betrachtet hat. Von hier aus ruft Stu (Colin Farrell) regelmäßig die junge Schauspielerin Pamela (Katie Holmes) an. Stu ist kein Fernsprechnostalgiker. Er will nur verhindern, dass seine Frau (Radha Mitchell) durch einen zufälligen Blick auf die Mobilfunkrechnung von der Affäre erfährt, bevor sie überhaupt begonnen hat. Nachdem der angehende Ehebrecher den Hörer aufgelegt hat, klingelt das Telefon. Am anderen Ende der Leitung ist einer, der alles über das verlogene Leben des windigen PR-Agenten zu wissen scheint und mit einem Präzisionsgewehr aus einem der umliegenden Hochhäuser auf ihn zielt. Die Situation eskaliert, als der Heckenschütze zu Anschauungszwecken einen Mann neben der Telefonzelle erschießt. Innerhalb weniger Minuten ist der Ort von einer Polizeiarmada umstellt, die Stu für den Mörder hält und ebenfalls auf ihn anlegt.
Zweifellos ist Joel Schumachers Nicht auflegen! - basierend auf einem Skript des B-Movie-Veteranen Larry Cohen aus den 70ern - eine hochmoralische Angelegenheit. Für den arroganten Stu wird die Telefonzelle zum Beichtstuhl und zum Austragungsort eines vorgezogenen jüngsten Gerichts - eine äußerst militante Form von Katholizismus, die Schumacher hier in Szene setzt. Ein wenig krankt der Film daran, dass Stus Sündenregister nicht besonders beeindruckend ist: Versuchter Ehebruch, Vortäuschung falscher Tatsachen gegenüber einer potenziellen Geliebten, berufsbedingtes Lügen und ein allzu materieller Wertekatalog - das reicht nach heutigen Standards nicht einmal fürs Fegefeuer.
Aber geübte Hollywood-Zuschauer haben gelernt, moralische Botschaften zu ignorieren und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Und das heißt in diesem Fall: Spannung. Durch die Fokussierung auf einen Ort und einer kompakten Laufzeit von 84 Minuten hat Joel Schumacher einen hochkonzentrierten Thriller entworfen, der aus dem beschränkten Setting das größtmögliche Spannungspotenzial herauskitzelt. Die Kamera umkreist den Schauplatz aus allen erdenklichen Perspektiven, der Schnitt treibt den Pulsschlag des Films immer wieder in die Höhe, und der irische Schauspieler Colin Farrell - eine äußerst gutaussehende Neuanschaffung Hollywoods - treibt seine Figur genussvoll in die Verzweiflung.
Im Spannungsfeld zwischen wertkonservativer Moralpredigt und einer dynamisch-modernen Erzählweise entwickelt Schumacher ein interessantes, kompaktes und kompromissloses Stück Unterhaltungskino.

Martin Schwickert

Phone Booth. USA 2002 R: Joel Schumacher B: Larry Cohen K: Matthew Libatique D: Colin Farrell, Kiefer Sutherland, Forest Whitaker, Radha Mitchell