THE AVIATOR

Cäsaren-Wahn
Martin Scorsese portraitiert Howard Hughes

Filme. Flugzeuge. Frauen. Das waren die drei großen Leidenschaften des Howard Hughes. Durch das Erbe seiner Eltern im zarten Alter von 18 zum Milliardär geworden, hatte er die finanziellen Mittel, selbst die kostspieligsten Träume in die Tat umzusetzen. In den 30er Jahren stieg Hughes zu einem der wichtigsten Filmproduzenten und exzentrischsten Gestalten Hollywoods auf. Die großen Filmdiven gaben sich an seiner Schlafzimmertür die Klinke in die Hand: Jean Harlow, Bette Davis, Ava Gardner, Jane Russel, Katherine Hepburn und viele andere.
Hughes war nicht nur ein begeisterter Pilot, sondern konstruierte auch selbst Flugzeuge für die US-Airforce im Zweiten Weltkrieg und für die eigene Fluggesellschaft TWA. Ein Hasardeur, ein Tausendsassa, eine schillernde Figur und ein tragischer Held. Denn als Hughes am 5. April 1976 starb, hatte er über zwanzig Jahre jeglichen Kontakt zur Außenwelt verweigert und sich mit seinen phobischen Wahnvorstellungen in Hotelzimmern verbarrikadiert.
Hughes Leben ist in seiner Konsequenz eine umgekehrte amerikanische Erfolgs-Story. Ihm lag die Welt zu Füßen, sogar den Himmel hatte er erobert - und er endete in einem Szenario selbstgewählter Verelendung. Dass Martin Scorsese im Leben des Howard Hughes einen großartigen Filmstoff sieht, kann niemanden ernsthaft verwundern. Wann gibt es schon einmal eine True Story, die den Larger-Than-Life-Ansprüchen des Kinos gerecht wird. Fast drei Stunden lang reist Scorsese durch Hughes' Leben und das, obwohl er sich auf ein biografisches Zeitfenster von knapp zwanzig Lebensjahren beschränkt.
Wie Hughes so strebt auch Scorsese nach Größe, nach Unbedingtheit, nach cineastischer Kompromisslosigkeit. The Aviator ist trotz seiner epischen Länge ein atemloses Werk, das sich der Getriebenheit seines Helden verschreibt. Müde belächelt wird der junge Hughes (Leonardo DiCaprio), als er in eine Hollywood-Party hineinschneit und für seinen Flieger-Film Hells Angels bei den Studiobossen noch zwei Kameras auftreiben will. 24 hat er bereits am Set, aber für die Bilder, die er im Kopf hat, braucht er noch zwei weitere. Hells Angels ist ein Produkt des Größenwahns und mit zwei Millionen Dollar damals die teuerste Produktion der Filmgeschichte. Mit der gleichen visionären Kraft baut Hughes Flugzeuge. Auf der Rückseite des Storyboards befinden sich technischen Planskizzen für das nächste Luftschiff.
Immer wieder verweist Scorsese auf den symbolischen Vergleich: Fliegen und Filmemachen. Aber es bleibt bei Beschwörungsformeln. Und weil Fliegerträume spektakulärere Kinobilder versprechen als die Arbeit in Schnitträumen, konzentriert sich The Aviator schon bald nur noch auf den Flugzeugbauer Hughes, der immer größere und schnellere Luftschiffe konstruiert, Unsummen an Privatvermögen und Regierungsgelder in seine gigantomanischen Pläne investiert und schließlich nach dem Zweiten Weltkrieg sogar vor einen Untersuchungsausschuss treten muss, weil er in Verdacht gerät, sich an Steuermitteln bereichert zu haben.
Und die Frauen? Auch hier ist Hughes ein Eroberer. Aber er macht es sich nicht leicht, denn in der langjährigen Beziehung zu Katherine Hepburn, auf die der Film im polygamen Leben des Helden seinen Fokus richtet, haben beide die Hosen an. Cate Blanchett spielt Hepburn - ein gewagtes Unterfangen, das sie mit genau der richtigen Mischung aus Imitation und Eigensinn meistert. Kate Beckinsale hingegen ist als Ava Gardner hoffnungslos fehlbesetzt, und auch DiCaprio kann in der Hauptrolle nicht durchgehend überzeugen. Zu jungenhaft wirkt er, wenn er Hughes visionären Elan in Szene setzten soll. Zu dick trägt er auf, wenn er sich in Hughes' Phobien und Waschzwänge hinein vertieft.
Was für den Hauptdarsteller gilt, gilt auch für seinen Regisseur. Scorsese war noch nie ein Meister des Understatements, sondern ein energischer Bilderstürmer. Nur ist der Bildersturm von damals längst vom visuellen Overkill des Digitalkinos absorbiert worden. Die Getriebenheit, mit der Scorsese sein filmisches Epos unterlegt, ist von der Gigantomanie des zeitgenössischen Effektekinos kaum noch zu unterscheiden. Ein paar spektakuläre Flugsequenzen weniger, dafür mehr Muße und Mut für die tragischen Seiten der Figur - aus The Aviator wäre ein schillerndes Porträt geworden, das der Exzentrik seines Sujets gerecht wird, anstatt in der eigenen Ambitioniertheit zu ersticken.

Martin Schwickert
USA 2004 R: Martin Scorsese B: John Logan K: Robert Richardson D: Leonardo DiCaprio, Cate Blanchett, Kate Beckinsale