BABIJ JAR

Heim ins Reich

Artur Brauner erinnert an ein Massaker

Im September 1941 ermordeten deutsche Truppen in der "Großmutterschlucht" (Babij Jar) bei Kiew 33771 Juden. Vorher schrieben sie säuberlich ihre Namen auf, nahmen ihnen die Wertsachen ab, unter Vorspiegelung einer "Umsiedlung" ins Arbeitslager, ließen sie von antisemitischen Ukrainern verprügeln, riessen ihnen die Kleider vom Leib, trieben sie in die Schlucht und zwangen sie schließlich, sich Schicht auf Schicht auf die vor ihnen Erschossenen zu legen. Einige ausführende Organe sollen davon Alkoholprobleme gekriegt haben.
So zynisch wird man das sagen müssen, so plakativ montierte Artur Brauner das Material zusammen, das ihm der amerikanische Regisseur Jeff Kanew mit deutschen und russischen Schauspielern jetzt endlich drehte. Deutschlands letzte lebende Produzenten-Persönlichkeit wollte ursprünglich schon 1951 einen Film über das lange in Russland und Deutschland verschwiegene Massaker machen, aber er fand keine Unterstützung. Viel später sagte Kirk Douglas zu - und nach seinem Schlaganfall wieder ab (seine Rolle spielt nun Michael Degen). Chronisch unterfinanziert (eine knappe Million Fördergeld), unerreichbar für inhaltliche und formale Bedenken, und jedenfalls teilweise atemberaubend erfunden (bzw. nachgestellt), erzählt Babij Jar die Geschichte des Massakers als Bauerntheater. Mit schlecht eingeschnittenem Wochenschaumaterial und in unsauber belichtetem Schwarzweiß.
In ein von Juden und Russen bewohntes Doppelhaus bricht das Weltgeschehen ein: die Russin (Katrin Saß) entdeckt den Antisemitismus als Gelegenheit zum Geländegewinn, der alte Jude (Michael Degen) findet Deutsche erstmal angenehmer als die keifende Nachbarin ... irgendwann müssen alle fliehen, nur ein jugendliches Paar kommt durch, und die böse Frau wird von den bürokratischen Nazis gleich mit den Juden zusammen verscharrt.
Das ist so über alle Maßen moralisch zusammengekitscht, dass es schon wieder wirkt: nur unbeholfen kann man sich dem Grauen nähern. Wie furchtbar etwa wäre es, hätte Brauner das Geld für richtige Einschuss-Loch-Effekte gehabt oder trainierte Volkszorn-Statisten, die wirklich auf die Schlachtbank-Statisten einschlagen, statt sichtbar in der Luft herum zu fuchteln.
Andererseits: wenn ein Junge beim träumenden Schwimmen im See plötzlich in menschliche Leichen treibt wie in einen Schwarm toter Fische, dann bleibt das Bild, auch wenn der Film es sofort wieder kaputt montiert. Wenn dann zum vierten mal eine Übelkrähe als Todesbote vor dramatischen Wolken eingeschnitten wird, dann ist gerade die Übertreibung das beste Zeichen der Hilflosigkeit.
Und wenn Axel Milberg den Alkoholiker der Macht gibt, der nach einem langen Arbeitstag auch mal Feierabend haben will - dann hätte man diesen Film gerne schon vor 50 Jahren gesehen. Oder im Beiprogramm zur Wehrmachtsausstellung, oder wenigstens damals in der Schule, als die Nazis dran waren.

WING

D/R 2002, 108 Min., R: Jeff Kanew, B: Stephen Glantz, D: Katrin Saß, Michael Degen, Barbara de Rossi, Axel Milberg