Barbara

Wartesaal

Eine Ärztin in der DDR wartet auf das Ende

Erstmalig begibt sich Christian Petzold mit Barbara auf historisches Terrain und reist in seiner sechsten Regiearbeit fürs Kino zurück in die DDR des Jahres 1980. Barbara (Nina Hoss) hat einen Ausreiseantrag gestellt und wird als Ärztin aus Berlin in die tiefste mecklenburgische Provinz versetzt. Wer beschlossen hat der Republik den Rücken zuzukehren, hat seine Rechte als DDR-Bürgerin verwirkt und wird von der Staatssicherheit strengstens überwacht.

Es ist ein gesellschaftliches Niemandsland, in dem sich Barbara als Ausreisewillige auf unbestimmte Zeit bewegt. Ihr Geliebter aus dem Westen, den sie heimlich im Wald oder im Interhotel trifft, bereitet die Flucht vor. Über die Ostsee nach Dänemark wäre eine Möglichkeit für den Weg in ein neues Leben, das nur besser werden kann als das alte, auch wenn die Vorstellungen vom Dasein auf der anderen Seite vage sind.

"Ich hasse das Meer. Das ist nun einmal so", sagt Barbara zu ihrem neuen Kollegen André (Ronald Zehrfeld), der ihr einen Weg durch den Wald hin zu einer Lichtung mit freiem Blick auf die See zeigen will. Barbara misstraut dem engagierten Kinderchirurgen, so wie sie allen misstraut. Ob sich André um sie bemüht, weil er sie mag oder weil er von der Staatssicherheit auf sie angesetzt ist, lässt sich nicht zweifelsfrei feststellen. Auch André ist nicht freiwillig hier. Auch er musste seine Hoffnungen auf ein berufliches Fortkommen als Wissenschaftler in der Charité nach Konflikten mit der Obrigkeit in den Wind schlagen. Aber er hat sich eingerichtet im Niemandsland mit einem eigenen kleinen Labor und einem Kräuterbeet im Garten. Er hat geschafft, was Barbara nicht gelingt: Einen Kompromiss zu finden mit den Verhältnissen.

Selbst wenn Barbara nichts wie weg will aus dem verlogenen Staat, ist sie Ärztin mit Leib und Seele. Dass das Mädchen, das wild um sich schlagend aus dem Jugendwerkhof Torgau eingeliefert wird, nicht mit Psychopharmaka ruhig gestellt werden muss, sondern an Hirnhautentzündung leidet, erkennt sie sofort. Dass der Staat der jungen Delinquentin das Kind, das sie im Bauch trägt, wegnehmen wird, weiß Barbara auch. Aber sie kann Stella (Jasna Fritzi Bauer) nicht helfen. Nicht jetzt, wo sie selbst kurz vor der Flucht steht. Barbara ist kein Film über die DDR. Die Handlung ist dort angesiedelt, aber Petzold unternimmt nicht den Versuch die Vergangenheit aufzuarbeiten, einzuordnen und zu beurteilen. Die Verhältnisse sind, wie sie sind. Interessant ist, wie die Menschen mit ihnen umgehen. Barbara untersucht das Wesen menschlichen Vertrauens. Wie finden zwei Menschen zueinander, ohne einander vertrauen zu können? Wie verändern sich Beziehungen in einem Umfeld, in dem Misstrauen zum alltäglichen Überlebensmechanismus geworden ist? Ist persönliches Vertrauen die einzig wirksame Waffe gegen die strukturelle Gewalt des Misstrauens?

Nina Hoss, die hier zum fünften Mal für Petzold vor der Kamera stand, spielt fein nuanciert eine Frau, die mit dem Leben in diesem Land abgeschlossen hat und ihre Schutzmechanismen nur für kurze Momente herunterfährt.

Martin Schwickert

Barbara D 2012 R&B: Christian Petzold K: Haas Fromm D: Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Jasna Fritzi Bauer