Bardsongs

Lernen mit Geduld

Ein Episodenfilm über das Klügerwerden im Stil von Pasolinis »Trilogie des Lebens«

Drei Geschichten hat der niederländische Regisseur Sander Francken zu einem Film zusammengestellt. Zwei davon spielen in Indien, eine in Mali. Jede Geschichte beginnt als Lied (bei Tageslicht) und verwandelt sich langsam in Bilder. Je länger das Lied andauert, desto dunkler wird der Tag und der oder die Sänger scheinen die ganze Nacht hindurch zu singen.

Die Bilder und Erzählweise erinnern dabei frappierend an die ausgefuchste Naivität von Pasolinis "Trilogie des Lebens", in der er klassische Erzählsammlungen fürs Kino bearbeitete (das Decamerone, die Canterburys Tales und "Geschichten aus 1001 Nacht").

Franckens Geschichten sind modern. In der ersten quält sich der Kamelkarren eines Müllsammlers durch den Straßenverkehr. Allerlei Widrigkeiten werden dem Mann begegnen, aber anders als Hiob hadert er nicht mit seinem Schicksal und verbittet sich jede Bewertung von außen. Wer weiss, wozu es gut ist?, sagt er, und die Geschichte wird ihm Recht geben: Was wie ein Unglück aussah, führt zu großem Glück und umgekehrt.

Die zweite Geschichte spielt in Mali und ist eine Lehrer-Schüler-Geschichte. Sie spielt in einer Koran-Schule, aber gleich zu Anfang fragt der neunjährige Bouba seinen Lehrer, ob er in die Stadt Djenné gehen dürfe, um Antwort auf eine Frage zu finden, die der Lehrer stellte ("What ist the greatest part of knowledge?"). Im Koran, so der Schüler, sei dazu nämlich nichts zu finden, was der Lehrer auch so sieht, weshalb Bouba in der Stadt recherchiert.

Auch die dritte Geschichte (die im alten Ladakh spielt) vernhandelt nichts weltbewegend Neues. Darin macht sich ein Vater mit seiner Tochter auf, ein Zugtier zu verkaufen, und gerät unterwegs an verschiedene Zeitgenossen, die ihm unerbetene Ratschläge dazu erteilen.

Die Bilder sind folkloristisch, aber nicht volkstümelnd. Sie feiern Farbenpracht, Menschengewimmel und leere, weite Landschaften, und sind, darin Pasolini ähnlich, niemals kitschig.

Die unbearbeitete Musik, die rohen, direkten "Bardsongs", tun ein Übriges, um eine faszinierend fremde Welt vorzustellen, die uns in ihren Weisheiten sehr vertraut ist. "Ich wollte zeigen", sagt Francken, "dass die alten Weisheiten von Indien auch in Afrika funktionieren, und umgekehrt."

Bei aller Naivität, bei all der unverstellten Herangehensweise, ist Bardsongs handwerklich makellos: Jedes Bild in seinem Ausschnitt, seiner Lichtsetzung, aber auch die nur vordergründig einfache Erzählweise ergeben einen unterhaltsamen Episodenfilm, in dem es um die Geduld geht, auf die wichtigen Fragen im Leben die richtigen Antworten zu finden.

Thomas Friedrich

NL 2010 R: Sander Francken B: Joost Schickx, Sander Francken K: Sal Kroonenberg, Melle van Essen, Bert Pot D: Abba Bilancoro, Kolado Bocoum,