BEAUTIFUL PEOPLE

Krieg und Frieden

Englischer Humor und europäische Kriegsgreuel

In den Wohnzimmern Westeuropas war der Krieg in Jugoslawien in erster Linie ein Medienereignis - unfassbar im wörtlichen Sinne, weil Fernsehbilder eben nicht wirklich berühren können. Jazmin Dizdar lässt in seinem Regiedebüt den Krieg in Bosnien und den Alltag in der Multi-Kulti-Metropole London direkt aufeinanderprallen. Eine junge Ärztin und Tochter aus gutem englischem Hause, verliebt sich in einen sympathischen Taugenichts, in dessen Leben alles ehemalig ist: sein Haus, seine Familie, sein Beruf und sein Land - das ehemalige Jugoslawien. Ein Serbe und ein Kroate - ehemals Nachbarn - fallen in einem Doppeldeckerbus übereinander her und landen schwerverletzt im gleichen Krankenhauszimmer. Eine hochschwangere Frau bittet den Stationsarzt um eine Abtreibung. Das Kind im Bauch, so sagt sie in gebrochenem Englisch, sei der Feind. Nur langsam begreift der Arzt, dass die Patientin von serbischen Soldaten vergewaltigt wurde. Ein rechtsradikaler britischer Hooligan schläft am Flughafen betrunken auf einer Lagerpalette ein und wird mit einem Hilfspaket mitten über bosnischen Kriegsgebiet abgeworfen. Ein BBC-Journalist reist als Berichterstatter in den Balkankrieg und kehrt, von den Massakern traumatisiert, zurück. Regisseur Dizdar - selbst aus Jugoslawien nach Großbritannien emigriert - verbindet das Chaos des Bosnienkrieges mit dem Chaos des britischen Alltags.
Aus der Vielzahl der menschlichen Schicksale entsteht unter Dizdars tollkühner Regie eine schwarze Komödie fernab von jeglichem Zynismus. Einerseits führt die Schlägerei der ehemaligen Nachbarn die Absurdität des Krieges als Slapstick-Nummer vor, auf der anderen Seite zeigt die Verzweiflung der werdenden Mutter ungeschönt die Tragik der Situation. Der Blick auf das selbstzufriedene englische Establishment ist ironisch, aber nicht anklagend. Ehekrisen und Bosnienkrise stehen gleichberechtigt nebeneinander. Die großen und kleinen Tragödien scheinen sich gegenseitig zu relativieren und in den pulsierenden Lebensfluss der Großstadt einzuordnen. Das Baby kommt zur Welt und wird auf den Namen Chaos getauft. Die versnobte Großbürgerfamilie freundet sich mit dem exotischen Schwiegersohn an, und sogar der Hooligan kehrt geläutert aus dem Kriegsgebiet zurück. Während in Bosnien um Grenzverläufe gekämpft wird, reißt Dizdar die Grenzen zwischen seinen Figuren und ihren Kulturen ein. Trockene britische Komik verbindet sich mit turbulenter südosteuropäischer Burleske zu einem ganz unpathetischen multikulturellen Bekenntnis.

Martin Schwickert

GB 1999 R/B: Jasmin Dizdar K: Barry Ackroyd D: Charlotte Coleman, Heather Tobias, Charles Kay 107'