BERLIN CALLING

Die Einsamkeit hinterm Mischpult

Ein Techno-DJ zwischen Kreativität und Drogenrausch

DJ Ickarus nennt sich die Hauptfigur in Hannes Stöhrs fiktiven Musikerporträt Berlin Calling , und der Name ist Programm. Darin steckt nicht nur der Mann mit den wächsernen Flügeln, der beim Fliegen der Sonne zu nahe kommt, sondern auch das Berliner "Icke", das auf die egozentrische Neigung des Helden verweist.

DJ Ickarus wird von dem real existierenden Berliner-Techno-DJ Paul Kalkbrenner gespielt. Trotzdem will der Film sich nicht als Biopic verstanden wissen. "Ich kenn den Ickarus sehr gut, weil er so ist, wie ich nicht hätte werden sollen", so formuliert Kalkbrenner mit gewitzter Dialektik das Verhältnis zu seiner Figur, "er ist mein eigener Dämon, aber auch einer, der gerne dahin will, wo ein Paul Kalkbrenner vielleicht heute ist." Und das heißt ganz nach oben in die Dancefloor-Charts.

Mit seiner Freundin und Managerin Mathilde (Rita Lengyel) jettet Ickarus durch Europa von einem Rave zum nächsten und ist kurz davor sein neues Album zu veröffentlichen. Aber die Karriere des vielversprechenden Elektro-Komponisten bricht rasant ein, als er eine Partypille einwirft, die ihm den Boden unter den Füßen wegzieht. Im Zustand "drogeninduzierter geistiger Verwirrtheit" wird er in eine Nervenklinik eingeliefert.

Auf der Drogenstation unter der Leitung der resoluten Psychiaterin Prof. Dr. Petra Paul (Corinna Harfouch) soll der verkokste DJ erst einmal wieder runter kommen. Aber die psychotischen Schübe sind stärker, als es der Patient zugeben will. Berlin Calling ist ein Film, der durch seine Hauptfigur in die Zeit schaut, für die der DJ seine Musik komponiert. Mit tragikomischem Blick erzählt Stöhr von der Einsamkeit hinter dem Mischpult, von der Zerbrechlichkeit der Kreativität und den fließenden Grenzverläufen zwischen Drogenkonsum und Psychosen. Humor und Melancholie greifen hier bruchlos ineinander, und auch wer nicht zu den Techno-Fans zählt wird den schwebenden Soundtrack, den Paul Kalkbrenner höchstselbst für den Film zusammengestellt hat, schätzen lernen. Auch als Schauspieler ist Kalkbrenner eine Entdeckung. Nicht nur weil er so schön fachgerecht an den Mischpultreglern drehen kann, sondern weil er die Rolle des Borderline-DJs mit schnoddrig-schnörkelloser Unbekümmertheit ausfüllt.

Martin Schwickert

D 2008 R&B: Hannes Stöhr K: Andreas Doub D: Paul Kalkbrenner, Rita Lengyel, Corinna Harfouch