HAUPTSACHE BEVERLY HILLS


Es wächst sich aus

Pubertät unter erschwerten Bedingungen

Das Promi-Viertel Beverly Hills ist die Quintessenz des amerikanischen Traums. Hier reihen sich die Villen von reichen, schönen und berühmten Menschen nahtlos aneinander, der Faktor Armut ist vollständig aus dem Straßenbild verdrängt. Slums of Beverly Hills heißt Tamara Jenkins Kinodebüt im amerikanischen Originaltitel provozierend, und natürlich gibt es diese Slums nicht in Wirklichkeit und auch nicht im Film. Aber es gibt Leute, die sich das Leben in Beverly Hills nicht leisten können und trotzdem dort bleiben. Als Vorstadt-Normaden ziehen Murray Abramowitz (Alan Arkin) und seine drei Kinder von einem Billighotel zum nächsten und hinterlassen bei ihren nächtlichen Fluchtunternehmen eine Menge offener Rechnungen. Vor langen Jahren sind sie ins Verliererlager gewechselt, als Papa Abramowitz seine Autohandlung in den Sand setzte und die Mutter die Scheidung einreichte. Dem 65jährigen Alleinerziehenden ist außer einer Tochter, zwei Söhnen und einem geräumigen Wagen nicht viel geblieben. Aber der alte Murray hat Prinzipien: "Furniture is temporary. Education is forever." heißt das oberste Gebot und die Schulausbildung ist in Beverly Hills am besten. Dafür nimmt man gewisse Unregelmäßigkeiten im Wohnumfeld schon einmal in Kauf.
Murray Abramowitz ist mit allen Höhen und Tiefen familiären Notstandsmanagments vertraut. Der Film stellt ihn beim Kauf des ersten BHs für seine 14jährige Tochter Vivien (Natascha Lyonne) vor, aus deren Sicht die Familienereignisse geschildert werden. Viviens Brüste sind in den letzten Monaten geradezu explodiert und sie mag sie nicht, weil ihre jüngeren Brüder ständig draufglotzen. Noch weniger mag sie den erworbenen martialischen Büstenhalter, der an ein mittelalterliches Folterinstrument erinnert. Mit vierzehn auszusehen wie achtzehn, dazu ein Vater, von dem alle denken, er sei der Opa - das ist Pubertät unter erschwerten Bedingungen. Aber Vivien bekommt weibliche Familienverstärkung. Die psychisch etwas instabile Cousine Rita (in Bestform: Marisa Tomei) flüchtet sich aus der Entziehungsanstalt zur vagabundierenden Verwandtschaft. Murray gelingt es, seinen reichen Bruder davon zu überzeugen, daß er aus der labilen Tochter via Krankenschwesterausbildung ein nützliches Mitglied der Gesellschaft machen wird, und bekommt dafür einen großzügigen Zuschuß zum Lebensunterhalt. Mit Ritas tatkräftiger Unterstützung entschlüsselt Vivien nun die sexuellen Geheimnisse des Teenagerdaseins. Zu den besten Szenen gehört eine kleine Zimmerparty, bei der sich die beiden Frauen tanzend gegenseitig einen laut brummenden Vibrator zuwerfen. Die erste Monatsblutung wird zum Skandal, weil Vivien den hübschen Samtbezug im Wohnzimmer von Vatis hysterischer Freundin Doris (Jessica Walter) befleckt, und der erste Beischlaf wird standesgemäß mit dem benachbarten Dope-Dealer Elliot (Kevin Korrigan) auf einen Parkplatz ausgefochten.
Regisseurin Tamara Jenkins erzählt ihre Geschichte über das Erwachsenwerden vor dem Hintergrund der späten 70er Jahre, die hier allerdings eher wie schlecht verkleidete 90er aussehen. Aber das stört nicht wirklich, denn Hauptsache Beverly Hills beschwört nicht das Zeitkolorit der Hippie-Ära, sondern konzentriert sich auf die zeitlosen Dramen der Pubertät und die Eigendynamik der ungewöhlichen Familienkonstellation. Dabei pendelt die Sozialkomödie zwischen farceartigen Soap-Elementen und melancholischen Parts hin und her. Zu den Entdeckungen des Films gehört Natascha Lyonne, die den Teenager in Nöten so uneitel und so hinreißend komisch in Szene setzt, daß man sich fast zurückwünscht in die Zeit, in der die Wachstumshormone unser Schicksal noch fest im Griff hatten.

Martin Schwickert