Bibliotheque Pascal

Literaturpuff

Leben als Traum: das Visionskino hat Konjunktur

Eigentlich sitzt Mona einem Beamten von der Kinderfürsorge gegenüber und soll ihm erklären, warum sie ihre kleine Tochter wieder zu sich nehmen will und was sie, Mona, die letzten Jahre in England gemacht hat. Und Mona erzählt, und der Film beginnt mit einer Zigeunerfeier, einem Dorffest, irgendwo in Rumänien. Das Fest ertrinkt im Regen, Mona zieht mit ein paar Serben weiter, landet in Budapest bei ihrem Vater, und weil der sich mit den falschen Jungs angelegt hat, ist Papa plötzlich tot und Mona wird als Zwangsprostituierte nach England verschleppt. Dort muss sie in dem bizarren Puff "Bibliotheque Pascal" zunächst als Jeanne D'Arc, später als Desdemona, ziemlich widerliche Sexpraktiken erdulden.

Die Bilder, die der ungarische Regisseur und Drehbuchautor Szabolcs Hajdu für diese Geschichte entwickelt, haben große Ähnlichkeiten mit den wilden Phantasien eines Emir Kusturica, ohne dessen Wucht zu erreichen. Bei Hajdu, der in Mónika Esztán eine großartige und erfahrene Ausstatterin für seine diversen Schauplätze fand, spielt sich vieles in Plan-Fahrten ab, in einer letztlich erstarrten Kamera, die bewusst eine Inszenierung abfilmt; der Film verliert dadurch mehrfach an Schwung.

Trotzdem hat der Film seine Momente, vor allem traurige. Dass die fantastischen Bilder den Unterschied zwischen Traum und Wirklichkeit oft nicht finden, führt nicht zu poetischer Beliebigkeit, sondern zu einer durchgehend bedrohlichen Stimmung: Wir sind hier unter Gaunern, und auch wenn es gut aussieht - hier geschehen schlimme Dinge.

Gegen Ende findet Bibliotheque Pascal gleich zwei wundervolle Lösungen für seine ziemlich hoffnungslose Geschichte. Denn die kleine Tochter, um die es am Anfang des Films ging, besitzt die magische Fähigkeit, ihre eigenen Träume real werden zu lassen. Inwieweit das Mona helfen kann, die weit weg in England zu stereotyp wiederholten Wortfetzen aus der Weltliteratur gefickt wird, und ob diese ganze Geschichte den Mann von der Fürsorgebehörde überzeugt - das muss man sich anschauen. Ebenso wie die anrührende Schlussidylle, die durch und durch verlogen und dabei doch ganz real ist, und beides nicht verleugnet.

Victor Lachner

D/Ungarn/UK/Rumänien 2010 R & B: Szabolcs Hajdu K: András Nagy D: Orsolya Török-Illyés, Andi Vasluianu, Shamgar Amram