Biutiful

Welt am Ende

Ein sinnliches Lehrstück darüber, dass alle guten Absichten zu spät kommen

In Amores Perros, 21 Gram und zuletzt Babel entwickelte der mexikanische Regisseur Alejandro González Iñárritu eine multiperspektivische Erzählweise, die Menschenschicksale aus verschiedenen Welten miteinander verknotete und ein filmisches Äquivalent für die komplexen Realitäten einer globalisierten Gesellschaft fand. In Biutiful verabschiedet sich Iñárritu nun von dieser Form und fokussiert seinen Blick auf eine einzige Figur, in der sich der keineswegs vielversprechende Zustand unserer Welt bündelt.

Uxbal heißt der Mann, und er wird gespielt von Javier Bardem. Uxbals Leben ist ein heilloses Chaos, das er nur mit größter Kraftanstrengung im Zaum zu halten vermag. Zu Hause in der heruntergekommenen Wohnung, an deren feuchten Wänden sich die Nachtfalter munter vermehren, sitzen zwei Kinder am Küchentisch, für deren Wohlergehen der Vater allein verantwortlich ist. Seine manisch-depressive Ex-Frau taucht nur gelegentlich auf, wenn sie gerade einmal aus der Therapie zurück ist oder genug hat von nächtlichen Massage-Jobs.

Sein Geld verdient Uxbal mit illegalen Schiebereien. Für Baustellen vermittelt er chinesische Schwarzarbeiter. Gefälschte Markenklamotten, die in den Sweatshops von illegalen Immigranten zusammengenäht werden, vertickt er über senegalesischen Straßenhändler und besticht die zuständigen Polizisten, damit sie beim Schwarzmarkttreiben ein Auge zudrücken.

Uxbals Existenz ist ein fragiles Konstrukt im gesetzlosen Raum, das jeden Tag neu ausbalanciert werden muss.

Dann erfährt Uxbal, dass er an Krebs erkrankt ist und nur noch einige Wochen zu leben hat. Verzweifelt versucht er in der verbleibenden Zeit, die Verhältnisse zu stabilisieren. Nicht nur für seine Kinder fühlt Uxbal sich verantwortlich, sondern auch für die Familie des afrikanischen Straßenhändlers und die chinesischen Leiharbeiter, die jede Nacht in einem engen Keller zusammengepfercht schlafen.

Es ist eine geradezu übermenschliche Aufgabe Ordnung, Verlässlichkeit und moralische Integrität in dieses Leben zu bringen - ein Aufgabe, der sich Uxbal mit selbstloser Verantwortlichkeit stellt.

Fast schon einem Passionsspiel gleicht seine Reise durch die Schattenwelten Barcelonas, die Iñárritu weit entfernt von allen Touristenklischees in rohen Bildern einfängt. Javier Bardem spielt die Leidensfigur, an der die Widrigkeit der Verhältnisse mit ganzer Macht zerren, ebenso kraftvoll wie sensibel und verwundbar. Den ungeschönten Realismus reichert Iñárritu mit spirituellen Elementen an, indem er seinen Protagonisten, der auf Begräbnissen für ein paar Euro in Kontakt zu den ruhelosen Seelen der Verstorbenen tritt, mit dem nahenden Tod in direkte Verbindung setzt.

Die beiden Ebenen verbinden sich überraschend bruchlos zu einem düsteren Sittengemälde aus dem Hinterhof der Globalisierung, das mit 147 Minuten sicherlich nicht leicht zu konsumieren ist, sich aber mit nachhaltiger Intensität im filmischen Gedächtnis einnistet.

Martin Schwickert

Mexiko/Spanien 2010 R: González Iñárritu B: Alejandro González Iñárritu, Armando Bo, Nicolás Giacobone K: Rodrigo Prieto D: Javier Bardem, Maricel Álvarez, Eduard Fernández