BLAIR WITCH 2

Hype mit Folgen

Die Hexensuche geht weiter

Die Menschheit ist in vielerlei Hinsicht geteilt. In Arm und Reich. In Mann und Frau. In irgendwie links und ganz schön rechts. Ebenso unversöhnlich haben sich im Herbst letzten Jahres Freunde und Feinde des Blair Witch Projects gegenüber gestanden. Die einen sind vor Angst fast gestorben. Die anderen zuckten gelangweilt mit den Achseln. Die Gegner weigerten sich hartnäckig, in Hysterie zu verfallen, nur weil ein paar Filmstudenten beim Wildcampen vergessen hatten, die Kamera auszuschalten. Die Fans hingegen diskutierten am PC weltweit und ernsthaft darüber, ob das alles nun wirklich und tatsächlich passiert war. Der Online-Hype, den das verwackelte Hänsel-und-Gretel-Remake in Gang setzte, ist längst eine Legende für sich. Die Kombination aus authentischer Schreckensvision und virtuellem Werbekonzept brachte dem Amateurfilm eine Gewinnbilanz, von der Hollywood nicht zu träumen wagte. 30.000 Dollar Produktionskosten stehen einer weltweiten Einspielsumme von 230 Millionen gegenüber.
So etwas als genialen Treppenwitz der Filmgeschichte stehen zu lassen - das widerspricht leider den Gesetzmäßigkeiten der Branche. Mit grausamer Zwangsläufigkeit folgt kaum ein Jahr später mit Blair Witch 2 die Fortsetzung - diesmal mit einem 10-Millionen-Dollar-Budget. BW2 - so das vertrauliche Kürzel - beginnt mit der Wirkungsgeschichte des pseudodokumentarischen Horrormärchens. Im Rathaus des Städtchen Burkittsville beteuert ein Anrufbeantworter rund um die Uhr, dass es sich bei dem "Blair Witch Project" um eine erfundene Geschichte handelt. Trotzdem schleichen die Grufties in Scharen um die Kindergräber des Friedhofs, und der Sheriff hat alle Hände voll zu tun, unbelehrbare Fans aus den düsteren Wäldern Marylands zu vertreiben.
Der etwas windige Jeff hat einen florierenden Devotionalienhandel aufgebaut und bietet seit neuestem auch Touren in die Gruselwälder der Black Hills an. Die erste Reisegruppe setzt sich geradezu prototypisch zusammen: Ein Wissenschaftlerpaar, das für die Studie "Blair Witch: Hysterie und Historie" recherchiert, eine junge Frau, die selbst glaubt, eine (gute) Hexe zu sein, und schließlich eine coole Gruftiebraut mit seherischen Fähigkeiten.
Nach einer Nacht im verfluchten Gehölz wachen die Expeditionsteilnehmer unangenehm verkatert auf. Keiner kann sich an die letzten fünf Stunden erinnern. Zudem ist das gesamte Video-Equipment verschwunden. Nur die Filmbänder werden gefunden. Die Gruppe zieht sich in ein umgebautes Lagerhaus am Rande der Stadt zurück, um den Ereignissen auf den Grund zu gehen. Während die einen vor dem Monitor das Videomaterial nach Übersinnlichem durchforsten, werden die anderen von düsteren Visionen heimgesucht. Panik macht sich breit. Die Gruppendynamik gerät aus den Fugen.
Wie das Original so fühlt sich auch Blair Witch 2 der Hysterieforschung verpflichtet. Im ersten Teil entstand die Spannung gerade durch das, was man nicht sah. BW2 hingegen wartet immer wieder mit blitzlichtartigen Visionen von aufgeschlitzten Bäuchen auf. Um dem Ganzen erneut den Anschein der Authentizität zu verleihen, hat man den Dokumentarfilmer Joe Berlinger als Regisseur engagiert.
Vergeblich versucht Berlinger den unfertigen Stil der Vorlage nachzuahmen. Herausgekommen ist ein Doku-Spielfilm, der auf beiden Ebenen nicht richtig funktioniert.
Auch wenn ausgiebig mit dem Camcorder herumdeliriert wird, vermitteln die Aufnahmen von Nancy Schreiber nie den authentischen Charme des Originals.

Martin Schwickert

Book of Shadows: Blair Witch 2 USA 2000 R: Joe Berlinger B: Dick Beebe, Jon Bokenkamp K: Nancy Schreiber D: Tristen Skylar, Stephen Baker Turner, Jeff Donovan, 95'