Blancanieves - Ein Märchen von Schwarz und Weiss

Freaks in der Arena

Schneewittchen unter Stierkämpfern: Ein spanischer Stummfilm

Die Bilder sind Schwarzweiß, das Bildverhältnis entspricht dem alten Quadrat der 20er Jahre, gesprochen wird nicht, es gibt dramatische Musik und Texttafeln. Aber Kameraführung und Schnitt sind sowas von modern, dass man Pablo Bergers Blancanieves von Beginn an als lustiges Experiment ansehen muss, in dem die Mittel des Stummfilms von Griffith bis Murnau nur zitiert werden, um das Märchen von Schneewittchen ins Milieu des Stierkampfes zu verlegen.

1910 erleidet der große Stierkämpfer Antonio Villalta wegen einer Unachtsamkeit einen Unfall in der Arena, der ihn Zeit seines Lebens an den Rollstuhl fesselt. Weil die geliebte Gattin vor Aufregung bei der Frühgeburt stirbt, wächst Tochter Carmen zunächst bei der Großmutter auf dem Lande auf, aber als die eines Tages beim Tanzen tot umfällt (woran sollten Spanier auch sonst sterben als an Stierkampf, Aufregung und Tanzen?), muss Carmen zur bösen Stiefmutter. Weil die sich so fies benimmt wie in einem Grimm-Märchen, büxt Carmen aber bald aus und landet bei einer Zirkustruppe.

Von jetzt an ist Blancanieves vor allem ein nettes Zitat von Tod Brownings Klassiker Freaks, jenem ziemlich düsteren Gruselfilm, in dem eine schöne böse Blondine am Ende von den Freaks des Zirkus solange zurechtgesägt wird, bis sie so aussieht wie sie.

Das Ende von Blancanieves ist nicht ganz so finster und kehrt halbherzig in die Grimm-Welt zurück: Es gibt einen etwas unmotiviert dargereichten Apfel und einen Kuss, aber keinen Prinzen.

Dafür gab´s in Spanien 2012 zehn "Goyas" (das ist dort der "Oscar"), unter anderem als Bester Film.

Außerhalb des Stierkampfmilieus überzeugen zwar die heftig überagierenden Schauspieler und das aufwändige Setting. Die halbherzige formale Spielerei allerdings bringt den Film kaum über die Zeit. Fast alle Szenen sind viel zu lang, und die Geschichte ist überschaubar und er-staunlich unwitzig. Einzig ein vorwitziger Hahn, Blancanieves einziger Gefährte durch dick und dünn, sorgt anfangs für Kusturica-Momente. Aber das Vieh landet bald in der Bratpfanne der bösen Stiefmutter. Der Spaß ist dann auch vorbei.

Thomas Friedrich

Blancanieves SP 2012 R & B: Pablo Berger K: Kiko de la Rica D: Maribel Verdú, Macarena García, Daniel-Dimènez Cacho, Ángela Molina