BLOOD & WINE


Diebische Familie

Ein Schmuckstück im Genrekästchen: Bob Rafaelsons Miami-Thriller

Miami ist der Ort, an dem immer die Sonne scheint, zumindest für diejenigen, die über das nötige Kleingeld für ein sorgloses Leben in diesem Teil des Paradieses verfügen. Mit der ortsüblichen Lässigkeit lenkt Alex Gates (Jack Nicholson) sein rotes Cabriolet über die Uferpromenaden. Dem deutlich gelangweilten Stiefsohn Jason (Stephen Dorff) erzählt er, wie damals alles angefangen hat. Seinerzeit in New York habe er als Straßenverkäufer mit Krawatten ein Vermögen gemacht. Jetzt macht Alex auf Weinhändler, und so edel die Tropfen im Regal seines Ladens auch sein mögen, der Snob ist pleite. Den Luxus, mit dem sich Alex gern umgibt, ist für ihn nicht mehr bezahlbar. Die klassische Ausgangssituation für eine kriminelle Handlung. Der Weinhändler heuert als Komplizen den professionellen Safeknacker Victor Spansky (Michael Caine) an, und trotz einiger Komplikationen gelingt der Coup. Das Diamantencollier ist im Sack und der Film gerade erst einmal 20 Minuten alt, denn in Bob Rafelsons Blood & Wine geht es nicht um den Coup, sondern um das Danach, um den Umgang mit dem Beutegut.
Regisseur Rafelson schleudert das millionenschwere Diamantencollier mitten hinein in eine sorgfältig konstruierte, komplexe Figurenkonstellation. Alex betrügt seine Frau Suzanne (Judy Davis) schon lange. Eine aufrichtige Haßliebe verbindet die angehende Alkoholikerin mit dem gescheiterten Wichtigmann. Als er mit Collier und Geliebter abreisen will, schlägt sie ihn mit dem Gehstock nieder. Die Brillanten wechseln den Besitzer, Mutter und Sohn Jason ergreifen die Flucht, Alex und sein kaltblütiger Komplize nehmen die Verfolgung auf. Mit von der Partie ist die schöne Gabriella. Die Exilkubanerin hofft, als Geliebte von Alex den Sprung in bessere Verhältnisse zu schaffen. Daß nun ausgerechnet Jason sich in Gabriella verlieben muß, verkompliziert die Angelegenheit. Spätödipale Rachebedürfnisse vermischen sich in des Sohnes Brust mit dem Begehren nach Vaters Geliebten einerseits und nach den Brillanten andererseits. Kurzum: alle kommen mit der Beute in Berührung, infizieren sich, werfen alle moralischen Vorsätze über Bord, träumen einen kurzen Traum von einem anderen Leben und halten am Ende weniger in den Händen als zuvor. Dabei hält das sorgfältig gedrechselte Drehbuch so manche überraschende Plotwendung bereit.
Das Hauptkapital von Blood & Wine ist die differenzierte Anlage der Charaktere, gekoppelt mit einer durchgehend gelungenen Besetzungspolitik. Wenn Jack Nicholson als abgetakelter Snob die Szenerie zum ersten Mal betritt, ist das zunächst Anlaß genug für schlimmste Befürchtungen. Zu oft hat man diesen Mann schon in der Rolle des Bösewichtes gesehen. Das debile Lächeln hat sich in sein Gesicht eingegraben, und auch hier sieht er wieder aus, als wäre er gerade dem Wachsfigurenkabinett entflohen. Je länger man ihm jedoch zuschaut, umso deutlicher wird, daß Nicholson genau der Richtige für diese Rolle ist. Denn mit dem Scheitern des Hochstaplers Alex wird zugleich genußvoll das erstarrte Überimage des Stars zur Demontage freigegeben. Nicht zu verachten auch der junge Stephen Dorff (zur Zeit auch in I Shot Andy Warhol als Candy-Darling zu bewundern) in der Rolle des eher introvertierten Taugenichts Jason. Wenn er so auf seinem Fischerboot mit wirrem Haar sinnierend in die Sonne blinzelt, wird schnell klar, daß Johnny Depp als Herzensbrecher ernstzunehmende Konkurrenz bekommen hat. Die eher unbekannte Jennifer Lopez hat sicherlich noch nicht den Höhepunkt ihrer schauspielerischen Leistungsfähigkeit erreicht. Zunächst erscheint ihre Gabriella nur als dekoratives Beiwerk für eine Geschichte um männiche Habsüchteleien. Aber im Verlauf des Films gewinnt Gabriella als "Material-Girl" mit klaren Zielvorstellungen deutlich an Format, und sie ist am Schluß die einzige, die nicht mit leeren Händen dastehen wird. Abgerundet wird das Ensemble von Michael Caine, dessen Filmographie das Presseheft zu sprengen droht. Der Alt-Profi spielt hier den einzigen professionellen Gangster, der schwer lungenkrank mit diesem Coup seine letzten Tage vergolden will. Wenn Caine alias Victor Spansky sich die Lunge aus dem Leib hustet, scheint gleichzeitig eine ganze Filmära ihrem Ende entgegenzuröcheln.
Sicher: Blood & Wine ist kein Thriller, der dem Publikum das Blut in den Adern gefrieren läßt, eher ein schlichtes, sauber gearbeitetes Schmuckstück im prall gefüllten Genrekästchen.

Martin Schwickert