Blue Ruin

Die Familie des Mörders

Ein ganz und gar ungewöhnlicher Rachethriller

Zu Beginn sehen wir einen Penner. Er sammelt leere Flaschen am Strand und bricht in leerstehende Häuser ein. Da nimmt er ein Bad. Er übernachtet in einem alten blauen Wagen nahe am Strand, ein Wagen mit Einschusslöchern, der offensichtlich keinen Meter mehr fahren kann. Am Morgen klopft eine Polizistin vorsichtig an die Scheibe des Wagens: "Dwight, Honey, du musst mitkommen." Und dann erzählt sie Dwight auf der Polizeiwache sehr vorsichtig, dass "er" jetzt aus dem Gefängnis kommen werde. "Er" ist der Mann, der vor vielen Jahren Dwights Eltern umgebracht hat.

Und jetzt packt der Penner zusammen, setzt eine in Ölpapier eingewickelte Autobatterie in seine Rostlaube und macht sich auf den Weg, "ihn" umzubringen.

Wer den Anfang von Jeremy Saulniers Rachethriller Blue Ruin noch halbwegs konventionell findet, wird fortan aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Denn der über Kickstarter finanzierte Debutfilm des Kameramannes Saulnier geht von Anfang an ganz eigene Wege und erzählt trotzdem eine bewegende und spannende Geschichte von zwei Familien, die in einer blutigen Rachefehde miteinander verflochten sind, einer Fehde, in der beide gleichermaßen Unrecht haben und die trotzdem erbarmungslos geführt wird. Über den Tod seiner Eltern jedenfalls hat man Dwight nicht die ganze Wahrheit gesagt. Er wird trotzdem zum vielfachen Mörder. Die Familie des Mörders ist unschuldig und hat trotzdem den Tod verdient. Und wenn Dwights Schwester zu ihm und seinem Rachefeldzug sagt: "Du bist nicht verrückt, du bist nur schwach", hat sie gleichermaßen Recht und Unrecht. Blue Ruin präsentiert das Thema mit einer Ambiguität, die man dem Gerne und dem Medium gar nicht mehr zugetraut hätte. In den perfekt stilisierten und doch spannungsgeladenen Bildern wird ein unbekanntes Ensemble vorgeführt, das sich nichts schenkt und die untergründige böse Komik dieses an Bluteffekten nicht armen Filmes zu jeder Zeit ernst nimmt. In Cannes gabīs dafür 2013 einen Preis. In den USA spielte der Film lächerliche 260.000 Dollar ein.

Thomas Friedrich

USA 2013 R & B & K: Jeremy Saulnier D: Macon Blair, Devin Ratray. Amy Hargreaves, 94 Min.