MY BLUEBERRY NIGHTS

Kuss mit Sahne

Blaubeerkuchen gegen Liebeskummer: In seinem ersten US-Film »My Blueberry Nights« schickt Wong Kar-Wai die Jazz-Sängerin Norah Jones auf die Reise

Während sich andere Regisseure wie John Woo von Hollywood abwerben ließen, um dann dort doch nie richtig Fuß fassen zu können, blieb Wong Kar-Wai auch nach der Machtübernahme Chinas dem Hongkong-Kino treu. Nun hat Wong doch den Schritt nach Amerika gewagt, allerdings nicht mit einem Studioprojekt, sondern einem eigenen Independent-Film. Vieles erinnert an die ersten Filme, die Wim Wenders in den USA gedreht hat. Auch Wong Kar-Wai arbeitet sich zuerst einmal an den amerikanischen Kinomythen ab. Von New York über Memphis nach Las Vegas führt die Tour, und als Reiseleiterin hat Wong die Jazz-Pop-Sängerin Norah Jones unter Vertrag genommen.

Mit gebrochenem Herzen schneit Elisabeth kurz vor Feierabend in ein Café in Brooklyn. Ihr langjähriger Freund hat sie wegen einer anderen verlassen.

Jeremy (Jude Law), der Besitzer des Cafés, tröstet sie fachgerecht mit einem Stück Blaubeerkuchen, der ebenfalls von der Kundschaft verschmäht wird.

Auf dem Tisch steht ein Goldfischglas mit Schlüsseln, die Leute aus der Nachbarschaft bei Jeremy abgegeben haben. Sie erzählen Geschichten vom Verlassenwerden und überstürzten Aufbrüchen in ein neues Leben. Nach einigen Blaubeerkuchenabenden lässt auch Elisabeth ihren Schlüssel auf dem Tresen liegen.

Als Kellnerin landet sie in Memphis, Tennessee, wo ein alkoholsüchtiger Cop seinen Herzschmerz auf dem Tresen vor ihr ausbreitet. Auch er ist ein Verlassener, den die Eheerfahrungen mit Sue Lynn (Rachel Weisz) in den tiefen Abgrund des Selbstmitleids stürzen ließ. Später arbeitet Elisabeth in einem Casino in der Nähe von Las Vegas, in dem sie die Pokerspielerin Leslie (Nathalie Portman) kennenlernt, die ihr vergeblich das Misstrauen gegenüber den Mitmenschen einzuimpfen versucht. Derweil versucht Jeremy in New York, der ein wenig zu spät gemerkt hat, dass er sich in die traurige Blaubeerkuchenfrau verliebt hat, die Spur von Elisabeth aufzunehmen.

Verglichen mit seinem letzten sehr assoziativen Zeitwanderung 2046 wirkt Wong Kar-Wais Ausflug in die USA deutlich zugänglicher. Sehr viel übersichtlicher ist die Episoden-Dramaturgie, die auf die Verheilung der emotionalen Wunden der reisenden Heldin abzielt. Optisch ist auch dieser Film mit den typischen verwischten Bewegungen, den durch Gläser, Scheiben, Spiegel gebrochenen Kamerablicken und der expressiven Farbgebung ein cineastischer Hochgenuss, obwohl Wong seinen langjährigen Kameramann Christopher Doyle durch Darius Khondji ( Delicatessen ) ausgewechselt hat.

Beinharte Fans werden vielleicht ein wenig enttäuscht sein, weil die Narration deutlich konventioneller ausfällt als man es von dem chinesischem Ausnahmeregisseur gewohnt ist. Dennoch entwickelt der Film als Begegnung zweier cineastischer Kulturen seinen eigenen Reiz.

Auch wenn sie von dem sagenhaften Kurzauftritt von Rachel Weisz als Südstaaten-Femme-Fatale deutlich in den Schatten gestellt wird, besteht Norah Jones ihre erste Prüfung vor der Kamera mühelos. Wenn Jude Law ihr am Schluss die Kuchensahne sanft von den schlafenden Lippen küsst, hat sie sich mit dieser wunderbar hingehauchten Kussszene auf jeden Fall schon fest ins Bildergedächtnis der Filmgeschichte eingeschrieben.

Martin Schwickert

Hongkong/CH/F 2007 R: Wong Kar-Wai B: Wong Kar-Wai, Lawrence Block K: Darius Khondji D: Norah Jones, Jude Law, Nathalie Portman


Das Interview zum Film