EIN FALL FÜR DIE BORGER


Klein & oho

Freeclimbing am Toaster

Wem das Erwachsenenkino längst zu langweilig geworden ist, der ist ein klarer Fall für die Borger. Peter Hewitts Kinderfilm Ein Fall für die Borger ist sicherlich das einfallsreichste Kinoprodukt der Saison und zeigt, daß die neuen Möglichkeiten in der Abteilung Special-Effect keineswegs nur dazu genutzt werden müssen, Wirbelstürme, Lavaströme und Feuerbrünste über die Leinwand fegen zu lassen.
Ein Fall für die Borger arbeitet mit dem Gulliver-Effekt, denn die Borger sind kleine, etwa salzstreuergroße Menschenwesen, die in unbemerkter Koexistenz mit der Normalbevölkerung leben. Pod Clock (Jim Broadbent), seine Frau Homily (Celia Imrie), Tochter Arrietty (Flora Newbigin) und Sohn Peagreen (Tom Felton) leben ihr friedliches Borger-Leben unter den Dielen eines großen alten Hauses. Alle paar Tage macht Daddy mit seinen Kindern kleine Expeditionen in die Küche, um von den Bewohnern des Hauses ein paar Lebensmittel zu "borgen". Mit eindrucksvoller Free-Climb-Ausstattung schwingen sie sich hoch zum Toaster, um die Brotkrümel für die kommende Haushaltswoche einzusammeln, eine (geborgte) Batterie aus dem Transistorradio liefert die Energieversorgung für die heimelige Behausung, und der Ausflug ins Gefrierfach zu den Speiseeisvorräten gehört zu den verbotenen Abenteuern der Borgerkids. Die Idylle hat ein Ende, als die Wirtsfamilie ausziehen muß, weil ein Immobilienmakler das Haus abreißen will. Aber da hat der fiese Spekulant Ocios Potter (John Goodman) die Rechnung ohne die Borger gemacht...
Ein Fall für die Borger sprüht im Cinemascope-Format 86 kurzweilige Minuten lang nur so vor Ideenreichtum. Im Maßstab 1:14 werden hier die Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs zu imposanten Riesenkulissen. Die Tischkante als Abgrund, der Toaster als Katapult, ein aufrollbares Metermaß als Aufzug, ein Kronkorken als Wohnzimmertisch, ein Wäscheetikett als Borger-Kleid, ein Fingerhut als Mülleimer - bis ins kleinste Detail wurde hier mit viel Liebe am Design gearbeitet. Warme satte Farben und ein leicht verfremdeter 50er-Jahre-Look geben dem Film seine eigene unwirkliche Atmosphäre. Die computeranimierten Effekte sind eher beiläufig eingebaut und dem Verlauf der Geschichte untergeordnet. Anders als im High-Tech-Katastrophen-Film siegt hier nicht der technische Machbarkeitswahn über die Dramaturgie. Ein Fall für die Borger ist ein generationsübergreifender Spaß und kommt, anders als die meisten Kinderfilme, ohne nervige Zeigefinger-Didaktik aus. Ob alt oder jung - wer sich einmal so richtig sattsehen will, sollte diesen Film keinesfalls versäumen.

Martin Schwickert