Bound


Blut auf Eisen

Zwei Lesben in Bogarts Welt: postmodern und trotzdem gut

Filmemacher von heute tragen die ganzen 100 Jahre Kino mit sich herum. Es kommt darauf an, was sie daraus machen. Manche tun, als sei nichts gewesen und erzählen ihre Geschichten, wie es ihnen angebracht erscheint. Manche versuchen, das Kino neu zu erfinden. Und andere schöpfen wollüstig aus dem reichen Formenschatz, bedienen sich längst überkommener Genres, zitieren schon mal ganze Sequenzen und benehmen sich wie postmoderne Architekten, die Pyramidenformen, Säulenmotive, Barockschnörkel und Bauhauszitate zu neuen Gebäuden montieren.
Die bekanntesten postmodernen Filmschaffenden sind wohl Joel und Ethan Coen, Brian de Palma gehört auch dazu (obwohl der fast immer nur Hitchcock zitiert), und jetzt, kann man ohne Übertreibung sagen, ist ein neuer Doppelstern in der Galaxis der Postmodernen Filmemacher aufgegangen: The Wachowski Brothers. Das klingt wie eine Pop-Band mit Proletarier-Appeal, ist aber ein Chicagoer Bruderpaar, das sich bisher mit Drehbüchern das Geld verdient hat, und sich sein Regie-Debüt Bound von Dino De Laurentiis hat produzieren lassen.
In Bound - Gefesselt nehmen sich die Brüder der Schwarzen Serie an. Der Plot mit dem entlassenen Häftling, der eine Chance bekommt, dessen Resozialisierung aber durch eine skrupellose Frau verhindert wird, kommt sicher öfter vor, nur daß hier der Häftling eine Frau ist.
Corkys erster Job nach ihrem Knastaufenhalt besteht darin, eine Wohnung in einem Luxus-Appartmenthaus zu renovieren. Zufällig lernt sie dabei ihre Nachbarin Violet (Jennifer Tilly) kennen, die nebenan mit dem Mafioso Ceasar (Joe Pantoliano) lebt. Zwischen Corky und Violet knistert es sofort. Und weil Violet Ceasar sowieso nicht ausstehen kann, Corky Violet mehr als nur nett findet und Ceasar als Geldbote einen Koffer mit zwei Millionen Dollar in seiner Wohnung aufbewahrt, entwerfen die beiden Frauen einen Plan, der nach den Regeln des Genres eigentlich nur schiefgehen kann. Weil er erstens Immoralität, Betrug und Raub beinhaltet. Und zweitens ziemlich kompliziert ist und darauf setzt, daß Ceasar nicht nur ein Widerling, sondern etwas blöd ist. Letzteres stellt sich als Irrtum heraus. Blut wird fließen.
Blut ist für junge Filmemacher weniger ein mystischer Stoff als ein gestalterisches Element, mit dem sich herrliche Fontänen gestalten lassen und der sich besonders gut auf frischer weißer Farbe macht. The Wachowski Brothers veranstalten kein Schlachtfest, sie setzen blutige Effekte genauso wie wirklich brutale Passagen (u. a. Geflügelscheren) eher sparsam, aber dafür sehr effektiv ein. Sie inszenieren Spannung und Suspense, nutzen scheinbare Nebensächlichkeiten (wie die dünnen Wände der Appartements) für überraschende Wendungen, und noch 10 Minuten vor dem Ende hat man keine Ahnung, wie's ausgehen wird.
The Wachowski Brothers sind, wie bereits erwähnt, Filmemacher von heute. Und das Filmemachen heute hat sich, nunja: weiterentwickelt. Damit meinen wir nicht nur computergenerierte Spezialeffekte, die in Bound, soweit wir sehen konnten, nicht vorkommen, sondern eine ganz bestimmte Art, die Welt in Filmen zu zeigen. Diese Art ist inspiriert von der Werbung, und sie setzt Effekte wie Geräusche, Zeitlupe und extreme Bildausschnitte und Perspektiven ein. Bound - Gefesselt wimmelt davon, und oft ist es gut, wenn Geldscheine knistern, Leder knarzt, Räume oder Gesichter erkundet oder Situationen auf die Spitze getrieben werden. Erigierte Brustwarzen in Gegenlicht oder vibrierende weibliche Unterleiber verbuchen wir allerdings durchaus unter "männlicher Blick", den wir bei einer ernstgemeinten Lesbengeschichte eher fehl am Platze finden.
Aber vielleicht sind wir auch nur ein bißchen verklemmt. Und vielleicht geht es den Brüdern nicht wirklich um eine neue Interpretation der klassischen Themen, sondern nur um einen schnellen Kick: Schwarze Serie mit Lesbenbesetzung - das kommt an - und ungewissem Ausgang, wegen der Irritation. Aber dafür ist Bound - Gefesselt andererseits zu fein gearbeitet, zu liebevoll gemacht.
Bound ist ein Film der ausgehenden Neunziger: Die Themen gehen aus, aber der Gestaltungswille ist groß wie nie. Und manchmal, zugegeben selten, sind Leute am Werk, die ihre Genre-Versessenheit mit Respekt den Figuren gegenüber verbinden. Wir wären der postmodernen Filmemacherei nicht beinahe überdrüssig, gäbe es mehr Filme wie Bound.

Jens Steinbrenner