BRIGHT STAR

Ein Engel an seiner Tafel

Jane Campion hat einen feinen Liebesfilm gedreht

Das Glück ist ein wehender Vorhang, eine sanfte Brise, die vom Sommer draußen durch das geöffnete Zimmer weht, leicht über die nackten Unterarme und die glühenden Wangen streicht. Nach dem Spaziergang, dem ersten Kuss und der Gewissheit, die Liebe ihres Lebens gefunden zu haben, stürmt Fanny (Abbie Cornish) nach oben in ihr Zimmer und lässt sich seufzend auf ihr Bett sinken. Lange blickt die Kamera auf den stillen Moment vollkommener Glückseligkeit, und in diesem ruhigen Bild bündelt sich die zarte Präzision, mit der Jane Campion in Bright Star der Liebe auf den Grund geht. Mit Das Piano hatte die neuseeländische Regisseurin 1993 Filmgeschichte geschrieben, nun kehrt sie erneut in die Welten des 19.Jahrhunderts zurück.

Im ländlichen Hampstead, unweit von London, lebt der junge Dichter John Keats (Ben Wishaw), der nach seinem frühen Tod zu einem der bedeutendsten Poeten der englischen Romantik avancieren wird, zu Lebzeiten jedoch erfolg- und mittellos bleibt. Als Keats zum ersten Mal die junge Fanny trifft, gesteht ihm die Nachbarin frei heraus, dass sie mit Poesie nichts im Sinn hat. Mode, selbstgefertigte Kleider und der mehrfach gefaltete Kragen, den sie um den Hals trägt, sind für die versierte Näherin ein reelleres Beschäftigungsfeld als die Dichtkunst.

Gerade die Befremdlichkeit und die unverstellten Umgangsformen wecken das Interesse füreinander, das schon bald zu einer großen und unerfüllbaren Liebe heranwächst. An Hochzeit ist nicht zu denken angesichts der finanziellen Situation des verarmten Poeten. Kaum ein Jahr verbringen die beiden miteinander, bis Keats an Tuberkulose erkrankt und vor dem englischen Winter nach Rom flüchten muss, wo er bald seinem Leiden erliegt.

Fern von Sentimentalität und Melodrama inszeniert Campion diese tragische Liebesgeschichte, in der sich der Poet und die aufgeweckte Nachbarin auf Augenhöhe begegnen. Dies ist kein Dichter-Biopic, keine Künstler-Musen-Schmonzette, sondern ein Liebesfilm, der den Gefühlen mit zärtlicher Aufmerksamkeit auf den Grund geht.

Dass Nähe nichts mit Indiskretion zu tun haben muss, lässt sich hier bestens belegen. Die Kamera bedrängt die Figuren nicht und scheint doch direkt in sie hineinschauen zu können. Die Zurückhaltung, mit der die Liebenden einander begegnen, ist nicht Ausdruck restriktiver gesellschaftlicher Konventionen, deren Verwerfungen in Jane Austen-Verfilmungen allzu oft beschworen werden. Die emotionalen Wahrnehmungsmechanismen sind hier nur sehr viel feiner eingestellt.

Mit nuancierter Gelassenheit erforscht Campion diese vergangenen Gefühlswelten, findet wunderschöne, sinnliche Bilder für das Glück und den Schmerz der unerfüllten Liebesbeziehung und erreicht eine emotionale Aufrichtigkeit, wie man sie etwa in Sex and the City nie, nie, nie erleben wird.

Martin Schwickert

R&B: Jane Campion K: Greig Fraser D: Abbie Cornish, Ben Wishaw, Paul Schneider