BROT UND TULPEN

Venedig sehen

Ferien vom Leben

Die Erleuchtung kommt an der Autobahn. Rosalba (Licia Maglietta) ist in einer Raststätte vergessen worden von ihrem notorisch nörgelnden Ehemann, ihren desinteressierten Söhnen und der übermächtigen Schwiegermutter. Sie fühlt sich ausgestossen und hilflos. Sie trampt. Sie sei noch nie in Venedig gewesen, erzählt Rosalba einem Fahrer. Der lacht, kann es nicht glauben und überlässt Rosalba das Steuer. An einer Abfahrt muss sie sich entscheiden: nach Hause oder Venedig? Sie wählt die Lagunenstadt.
In Silvio Soldinis Brot und Tulpen brechen sich Sehnsüchte und Hoffnungen Rosalbas an der Stadt. Sie verbindet eine traumhafte Welt mit diesem Ort, von dem sie viel gehört, aber den sie nie besichtigt hat. Es ist ein Neuanfang für die Hausfrau, eine zweite Chance, ein verlängerter Urlaub mit Folgen. Denn zunächst als Ferien deklariert, dehnt sie ihren Aufenthalt auf unbestimmte Zeit aus.
Rosalba findet eine Bleibe beim Kellner Fernando (Bruno Ganz) einem verschwiegenen Kauz aus Island, der bei ihrer Ankunft erst einmal den selbstgeknoteten Galgen verstecken muss. Sie freundet sich mit der Nachbarin Grazia (Marina Massironi) an, die so hippelig wie Rosalba ruhig ist. Der gehörnte Ehemann kann die Situation nicht fassen.
Soldini und Co-Autorin Doriana Leondeff erzählen eine hübsche, kleine Geschichte um den zweiten Frühling. Ihre Beobachtungen sind präzise, spannend und lustig. In Brot und Tulpen erlebt der Zuschauer ein poetisch gefärbtes Bild Italiens, aber keine Postkarten-Nostalgie. Die Handlung spielt in schmutzigen Ecken, Hinterhöfen und von Touristen verschonten Orten. Freunde des ruhigen Liebesfilm und eines verschmitzten Humors kommen auf ihre Kosten. Eine schöne Erzählung über den Spätsommer des Lebens.

Ulf Lippitz

Pane e Tulpani. I 2000. R: Silvio Soldini. B: Doriana Leondeff, Silvio Soldini. K: Luca Bigazzi. D: Licia Maglietta, Bruno Ganz, Giuseppe Battiston, 118'