JACKIE BROWN


Tüten im Wechsel

Tarantinos Altertswerk beginnt mit Pam Grier

Bereits mit seiner zweiten Regiearbeit Pulp Fiction war Quentin Tarantino knapp 30jährig am Höhepunkt seiner Karriere angelangt. In den fünf Jahren danach war von dem Meister des qualitätvollen Trashs, abgesehen von ein paar Drehbüchern und einer Episode in Four Rooms, nichts mehr zu hören. Die Erwartungen an Hollywoods gehätscheltes "enfant terrible" waren groß, und böse Zungen behaupten, mit seinem neuen Film Jackie Brown habe Tarantino bereits sein Alterswerk begonnen. In langsamen, locker- lässigen Erzähltempo entwickelt er diese Crime-Story um die tapfere Flugbegleiterin Jackie Brown, die Cops und kriminelle Auftraggeber gleichermaßen austrickst. Es beginnt mit einer endlos langen Parallelfahrt, in der sich der Kamerablick an der Heldin festsaugt und ihr bei dem Gang durch die Hektik des Flughafengebäudes geradezu atemlos folgt. Mit Pam Grier hat Tarantino (nach John Travolta in Pulp Fiction) wieder einer B-Picture-Ikone neu entdeckt, und diese lange Eingangssequenz ist wie eine Widmung für den Star des afroamerikanischen Blaxploition-Kinos der 70er Jahre.
Als Jackie von einem FBI-Agenten beim Devisenschmuggel erwischt wird, bleibt ihr - vorbestraft, schwarz, Mitte vierzig und einen Job an der unteren Einkommensgrenze - nur die Flucht nach vorn. Die Cops bieten einen Deal an: Jackie soll ihren Auftraggeber, den Waffenhändler Ordell (Samuel L. Jackson) in eine Falle locken. Natürlich schöpft Ordell Verdacht, und wen Ordell verdächtigt, der ist so gut wie tot.
Es beginnt ein Intrigenspiel, in dem Jackie unterstützt von dem gutmütigen Kautionsmakler Max (Robert Forster) nun selbst den großen Coup landen will. Eine Einkaufstüte wird mit 500.000 Dollar gefüllt und wechselt mehrfach den Besitzer. Auch wenn Tarantino die finale Geldübergabe gleich viermal hintereinander aus verschiedenen Perspektiven erzählt, ist es nicht nur das dramaturgische Wechselspiel, das einen als Zuschauer hier bei der Stange hält. Vielmehr glänzt Tarantino wieder einmal mit messerscharfen Dialogen und einen Erzählrhythmus, der sich gerne in Nebensächlickkeiten verrennt, um das scheinbar Entscheidende nur aus dem Augenwinkel wahrzunehmen.
Vor allem aber ist Jackie Brown ein Schauspielerfilm. Jede kleine Rolle wurde den Akteuren auf den Leib geschrieben. Da läuft ein Robert DeNiro als stoffelige Nebenfigur lauernd durch den Film, um am Ende ganz beiläufig kurz zu explodieren. Bridget Fonda lümmelt als dauerbekifftes Surfgirl auf den Sofa, Michael Keaton glänzt als lässig-nervöser FBI-Agent, und Samuel L.Jackson mit rotem Pferdeschwanz, geflochtenem Kinnbart und waffenscheinpflichtigen Blicken bösewichtelt so überzeugend wie kein anderer.
Tarantino-Fans werden von diesem Film, der von softem 70er Jahre Soul musikalisch begleitet wird, vielleicht enttäuscht sein. Die gewalttätige Sprengkraft von Reservoir Dogs und Pulp Fiction sucht man hier vergebens. Der böse Junge ist nun scheinbar doch erwachsen geworden, was ja kein Fehler sein muß. Wenn Jackie Brown der Beginn seines Alterswerks ist, darf man jedenfalls auf den Rest gespannt sein.

Martin Schwickert