BRÜGGE SEHEN...UND STERBEN?

Depressiv in Belgien

Zwei Gangster auf Sightseeing-Tour

Von Brügge hatte Ray vorher noch nie etwas gehört. Als anständiger Londoner Gangster irischer Herkunft, kennt man sich auf dem europäischen Festland nicht aus. Schon gar nicht in Belgien. Aber nach einem gründlich misslungenen Auftrag werden Ray und Ken von ihrem Boss auf Zwangsurlaub ins Venedig des Nordens geschickt.

Die belgische Kleinstadt mit der am besten erhaltenen mittelalterlichen Stadtanlage Europas ist in Martin McDonagh skurriler Gangsterkomödie nicht nur irgendeine Kulisse, sondern ein gleichberechtigter Hauptdarsteller. Kurz vor Weihnachten werden Ray und Ken dorthin geschickt. Erst einmal abtauchen sollen sie, nachdem Ray nicht nur, wie beauftragt, die klerikale Zielperson erschossen hat, sondern auch noch einen kleinen beichtwilligen Jungen. Während sich der ältere und erfahrenere Ken den touristischen Freuden des Ortes ergibt und über historische Baudenkmäler und Kirchengeschichte referiert, verfällt Ray nach seiner Tat in eine tiefe Depression.

Depressive Gangster sind im Kino besonders unterhaltsam, weil sie gewissermaßen berufsbedingt ihre psychischen Zerwürfnisse leugnen müssen. Mit staubtrockenem Humor lässt Regisseur und Drehbuchautor McDonagh die verlorenen Verbrecherseelen durch das nebelverhangene Brügge mäandern, dabei über mittelalterliche Rituale, das Wesen von Sünde, Sühne und das jüngste Gerichts philosophierend. Colin Farrell ist als suizidgefährdeter Killer so gut wie schon lange nicht mehr, und Gleeson als gutwilliger Arbeitskollege der optimale Counterpart.

Kunstvoll dahergeschnoddert werden die Dialoge, die die Gesten des Gangsterfilms konterkarieren und den lässigen Helden dennoch unerwartete seelische Tiefe zubilligen. Die Spannung zwischen der vermeintlichen Coolness der Helden und der pittoresken Melancholie des Ortes kostet Martin McDonagh voll aus und entwickelt daraus eine schwarzhumorige, aber keineswegs oberflächliche Gangsterkomödie, in der echte Zwerge, schwangere Hotelbesitzerinnen und das künstlerische Werk von Hyronimus Bosch entscheidend in die Handlung eingreifen. Nur in der Zielgeraden verliert McDonagh leider das Maß für die Dosierung der Gewalteffekte und unterläuft damit seinen eigenen originellen Erzählstil, der sich mehr auf Nuancen als auf Posen verlässt.

Martin Schwickert

In Bruges GB/BEL 2007 R&B: Martin McDonagh K: Eigil Bryld D: Colin Farrell, Brendan Gleeson, Ralph Fiennes