DAS KLEINE BUCH DER LIEBE

Lexikon der Irrtümer

Die schönsten und klügsten Filme über die Liebe kommen aus Brasilien

Die Liebe ist zumeist eine kreisförmige Erscheinung. Am Ende einer Beziehung ist man genauso blöd wie zuvor, was man wiederum, viel zu spät, erst am Beginn der nächsten merkt. Auf das amouröse Gedächtnis ist kein Verlass. Je nach Gemütszustand werden entweder nur die Glücksmomente erinnert oder mit militanter Auschließlichkeit die gesammelten Hassgefühle konserviert.
Gegen das selektive Vergessen hat die brasilianische Regisseurin Sandra Werneck mit Das kleine Buch der Liebe eine Art filmisches Nachschlagewerk entwickelt. Vom ersten Blickkontakt bis zum endgültigen Schlussstrich wird hier Aufstieg und Fall einer prototypischen Liebesbeziehung detailgenau rekonstruiert.
Nun mangelt es im Kino ja nicht an Melodramen und romantischen Komödien, aber bekanntlich wissen nur die wenigsten Liebesfilme, wovon sie reden. Die Amis verklären die Angelegenheit hemmungslos, die Deutschen witzeln unbegabt daher, und die Franzosen neigen zu wortreicher Intellektualisierung komplexer Gefühlslagen.
Wer allerdings einmal Heddy Honigmanns wunderbare Dokumentation O Amor Natural gesehen hat, weiß, dass man in Brasilien etwas von der Sache versteht. Anziehung, Schönheit, Erwartung, Glückseligkeit, Idylle, Schwur, Streit, Angst, Rache, Trennung, Qual und Leere sind nur einige Stichpunkte, die Sandra Werneck im Liebesleben der Architektin Luiza (Andréa Beltrao) und des Biologen Gabriels (Daniel Dantas) untersucht. Manchmal ist die Kamera nur stiller Beobachter, meistens jedoch direkter Ansprechpartner für die Betroffenen. Auf die männliche Selbstdarstellung folgt die weibliche Gegensicht. Über Form, Lage und Beschaffenheit von primären Geschlechtsorganen wird ebenso sinniert, wie über die Irrwege der Psyche. Gabriels Biologenfreund ergänzt die Paarungsstudien mit Berichten aus dem Tierreich, und Luizas Kollegin versucht, die Unmöglichkeit der Liebe mit statistischen Fakten zu belegen.
Mit amüsiert-fasziniertem Insektenforscherblick schaut Sandra Werneck auf die beiden Versuchspersonen und kann dabei auf den selbstironischen Charme ihres Schauspielerduetts bauen. Die Stärke des Films ist, dass Liebesglück und Liebesleid gleichberechtigt nebeneinandergestellt werden. Viele Szenen haben für herzschmerzgeprüfte Mittdreißiger sicherlich einen hohen Wiedererkennungswert, und die ebenso souveräne wie humorvolle Sicht auf das Verhältnis der Geschlechter sollte man für die nächste Beziehungskrise unbedingt im Gedächtnis behalten.

Martin Schwickert

Pequeno Dicion ...rio Amoroso Bras. 1997 R: Sandra Werneck B: Paolo Halm, José Roberto Torero K: Walter Carvahlo D: Andréa Beltrao, Daniel Dantas, Monica Torres