BULWORTH


Sag die Wahrheit

Warren Beattys schräge Polit-Satire

Wenige Tage vor der Wahl überfällt Senator Jay Bulworth (Warren Beatty) eine existentielle Krise. Seit Tagen hat er weder gegessen noch geschlafen. Völlig paralysiert sitzt er schluchzend vor dem Fernsehgerät und foltert sich mit den eigenen Werbespots. In einer Endlosschleife sind die Wahlkampfplatitüden des Senators gnadenlos aneinandergereiht. "Wir stehen auf der Schwelle zu einem neuen Jahrtausend ..." beginnt jede seiner Reden. Aber Bulworth ist am Ende, und er beschließt, seiner sinnlosen Politikerexistenz den Gnadenstoß zu versetzen. Todesmutig schließt er eine überdimensionale Lebensversicherung zugunsten seiner Tochter ab und heuert einen Auftragskiller an, der ihn am letzten Wahlkampfwochenende in Kalifornien umbringen soll.
Der Selbstmordentschluß wird für den deprimierten Senator zum Befreiungsschlag. Den Tod vor Augen tut er das, was Politiker nie tun dürfen: Er sagt die Wahrheit. Während seiner Ansprache vor einer schwarzen Kirchengemeinde legt er das vorgefertigte Skript beiseite und überrascht das Publikum mit der Feststellung, daß es ohnehin nur den bunten Hintergrund für seinen medienwirksamen Auftritt abgebe. Kein weißer Politiker werde je die Probleme der Schwarzen ernst nehmen. Der Skandal ist perfekt. Im Tumult stößt Bulworth auf die unglaublich gut aussehende Afro-Amerikanerin Nina (unglaublich gut aussehend: Halle Berry), die den coolen Senator in einen finsteren Nachtclub abschleppt. Innerhalb kurzer Zeit mutiert dort der Sechzigjährige zum begeisterten Hip-Hop-Fan, stellt sich im Morgengrauen selbst hinter die Turntables und spricht fortan nur noch in sauber formulierten Rap-Versen. Es folgen Auftritte in Fernsehshows, in denen sich der weiße Hip-Hoper stilgerecht mit Sonnenbrille, Wollmütze und Schlabberhose präsentiert.
Auf der Flucht vor den angeheuerten Auftragskillern schleust Nina den Senator in die schwarzen Ghettos von L.A. Dort schließt der kauzige Alte schnell Freundschaft mit drogendealenden Kids und schwer bewaffneten Mafiabossen.
Als politische Farce ist Bulworth deutlich radikaler angelegt als die Hollywood-Satiren der letzten Kinosaison Wag the Dog und Primary Colours. Für Warren Beatty scheint Bulworth ein Herzensprojekt gewesen zu sein. Der Hauptdarsteller zeichnet als Regisseur, Produzent und Co-Autor verantwortlich. Mit sichtlichem Genuß demontiert Beatty die Figur des korrupten Durchschnittspolitikers und schickt ihn auf einen abgedrehten Trip durch die sozialen Verhältnisse im Land. Selten hat ein Film die riesige Kluft zwischen schwarzem und weißen Amerika so ungeschönt ausformuliert. Ganz im Stile der Hip-Hop-Kultur greift auch Bulworth die maroden politischen und sozialen Strukturen sehr direkt an. Wenn Warren Beatty sich vom verknöcherten Senator zum wendigen Rapper wandelt und in Beverly Hills mit brillanter klassenkämpferischer Lyrik die Wahlkampffinanziers vor den Kopf stößt, ist das nicht nur lustig. Glücklicherweise hatte der deutsche Verleih ein Einsehen und zeigt den Film ausschließlich in untertitelter Originalfassung.
Wie jedes Einzelkämpfer-Projekt hat auch Bulworth seine offensichtlichen Schwächen. Daß die junge Ghetto-Queen Nina sich in einen dreifach älteren weißen Senator verliebt, bleibt trotz der vorsichtigen Inszenierung bis zum Schluß unglaubwürdig, wie es überhaupt im dramaturgischen Gebälk gewaltig knirscht. Zum Ausgleich bietet Bulworth jedoch einige unvergeßliche, wunderbar schräge Szenen, die man in einem sauber durchgestylten Hollywoodprodukt sicherlich aus dem Skript gestrichen hätte.

Martin Schwickert