U-CARMEN

Township Love
Bizets »Carmen« in einer südafrikanischen Version

Der britische Theatermann Mark Dornford-Mayhat das populäre Musikdrama komplett in das südafrikanische Township Khayelitsha nahe Kapstadt verlegt und das Libretto in die Bantu-Sprache Xhosa übersetzt. Das Ensemble rekrutiert sich aus der Theatergruppe Dimpho Di Kopane, die Dornford-May bereits vor fünf Jahren in Südafrika gegründet hat. Wie in den meisten Carmen-Inszenierungen der Gegenwart ist Carmen (Pauline Malefane) hier nicht mehr nur ein männerverschlingendes Zigeunerluder, sondern eine kompetente Femme Fatale, die ihr Recht auf Freiheit und Promiskuität souverän verteidigt. Ohnehin hat man hier das Gefühl, dass die Männer im Opern-Township nicht viel zu melden haben. Wenn die Arbeiterinnen der Zigaretten-Manufaktur Mittagspause machen, dann halten sie im hübsch inszenierten Ränketanz die lechzenden Mannsbilder lässig an der langen Leine.
In U-Carmen haben die Frauen im wahrsten Sinne des Wortes mehr Gewicht. Die drallen, selbstbewussten Damen mit ihren kraftvollen Stimmen singen so manchen Heldentenor mühelos an die Wand. Ihr durchaus enormes Körpergewicht tragen sie mit einer Leichtigkeit und Eleganz, die ein Frontalangriff gegen den westlichen Schlankheitswahn darstellt.
Dagegen sieht der eifersüchtige Liebhaber Don José (Andile Tshoni), der hier Jongikhaya heißt und in der Polizeitruppe des Townships dient, schon früh wie ein geborener Verlierer im Geschlechterkampf aus, der sich durch den Mord aus Leidenschaft nur selbst ins Unglück stürzt. Aus dem stolzen Torero ist ein nachdenklicher Opern-Star geworden, der als Sohn eines ANC-Veteranen aus dem Exil ins heimatliche Township zurückkehrt.
Dornford-Mays Blick auf die Wellblechhütten-Landschaften der südafrikanischen Slums ist frei von jeglicher Armutsromantisierung. Kein malerisch vor sich hin rostendes Elendsambiente, sondern Mut zur authentischen Hässlichkeit dominieren die Optik. Die Nüchternheit der Kulisse dimmt den Kampf der Leidenschaften der Opernvorlage auf ein heutigeres Maß herunter.
Leider kann U Carmen das filmische Versprechen seiner Eingangssequenz, in der die Impressionen aus dem Township im Rhythmus der Opernmusik geschnitten wurden, im späteren Verlauf nicht mehr einhalten. Großes Kino - wie etwa in Carlos Sauras Carmen - will sich trotz musikalischer Stärken in dieser zu geradlinig abgefilmten Version nicht herstellen.

Martin Schwickert